Showdown auf dem Umsteigebahnhof von Bad Kleinen
„Operation RAF“, der Report eines bewährten Autorentrios über die Vertuschung derTodesumstände von Wolfgang Grams
Neun Jahre lang verfügten die Ermittler über keine verwertbaren Spuren zur ominösen „dritten Generation der RAF“ Aber am 27 Juni 1993 gelangen Bundeskriminalamt, Bundesanwaltschaft und Verfassungsschutz scheinbar ein großer Fahndungserfolg. Auf dem Umsteigebahnhof in Bad Kleinen seien zwei gefährliche „Terroristen“ gestellt worden, wobei einer von beiden ums Leben kam - so die ersten offiziellen Verlautbarungen aus Karlsruhe. Damit schien die Sensation perfekt.
Worum es in den frühen Jahren der RAF ging, umriß der ehemalige BKA-Präsident Horst Herold so: „Von Stunde zu Stunde wurde das Bild der Attentäter klarer Man wußte alles, man mußte sie nur kriegen; das war der einzige Punkt.“ Ab Mitte der 80er Jahre änderte sich das. Nachdem Brigitte Mohnhaupt und Adel-
heid Schulz verhaftet waren, ging Christian Klar den Fahndern am 16. November 1982 im Sachsenwald bei Hamburg ins Netz. Inge Viett und Werner Lotze gehörten - wie inzwischen bekannt ist - mit dem Rest der zweiten Generation zu den „DDR-Aussteigern“ und lebten als brave Bürger
Damit war das Thema Terrorismus aber nicht abgehakt; unter dem Siegel der RAF wurde weiterhin gemordet. Auffällig dabei: Was den „Bekennerbriefen“ an Substanz fehlte, glichen die Attentäter durch Brutalität und Professionalität bei den Anschlägen aus.
Am 10. Oktober 1986 wurde im bestens gesicherten Bonn der Ministerialdirektor Gerold von Braunmühl erschossen. Buchstäblich unter den Augen der Personenschützer sprengten Attentäter am 30. November 1989 den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Al-
Wolfgang Landgraeber/ Ekkehard Sieker/ Gerhard Wisnewski: Operation RAF Was geschah wirklich in Bad Kleinen? Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nach/.. München 1994. 224 S., brosch., 12.90 DM
fred Herrhausen, in die Luft. Schließlich ermordeten die Dunkelmänner der „RAF“ am 1. April 1991 den Treuhandchef Detlef Karsten Rohwedder mit einem chirurgischen Schuß, wie ihn Scharfschützen anbringen.
Die Täter spürten in diesen Fällen die Lücken im dicht geknüpften Sicherheitsnetz auf, hinterließen keine verwertbaren Spuren (der letzte Fingerabdruck eines RAF-Täters datiert von 1981) und narrten in einem fort die Terroristenfahnder. Kein Wunder, wenn sich unter solchen Umständen kritische Stimmen mehrten,
die eine organisatorische, logistische und personelle Kontinuität von immer neuen, zahlenhöheren „Generationen der RAF“ in Frage stellten.
Genau auf dieser Linie argumentierten die Publizisten Landgraeber, Sieker und Wisnewski; in einer ARD-Brennpunktsendung vom 1. Juli 1992 und in ihrem Buch „Das RAF-Phantom“ bezweifelten sie die Existenz der „dritten Generation der RAF“ als autonome linke Guerilla. Diese These gründeten sie auf die magere Bilanz der Ermittler Außer Zetteln mit den Buchstaben RAF, die nach den Anschlägen aufgefunden wurden und denen einige Tage später allerlei Galimathias enthaltende
Pamphlete folgten, die den jeweiligen Anschlag „begründeten“, konnten die Fahnder nichts vorweisen.
Doch nun war anscheinend - allen Zweiflern und Queru-
lanten zum Trotz - der Einbruch in die „Kommandoebene der RAF“ gelungen. Aber was anfänglich wie ein Erfolg der Sicherheitsbehörden aussah, erwies sich mehr und mehr als handfester Skandal. Die Autoren des Buchs „Operation RAF“ dokumentieren das Verwirrspiel und die abenteuerlichen Pfuschereien, inszeniert von den Verantwortlichen, vor und nach den Ereignissen in Bad Kleinen.
Dabei verwendeten Landgraeber, Sieker und Wisnewski meist frei zugängliche Quellen. Zunächst verweisen sie auf die fragwürdigen Beweismittel gegen die mutmaßlichen Terroristen Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams. Sodann werden die hanebüchenen Widersprüche in der, von der Bundesregierung getragenen, offiziellen Version gewürdigt. Gesonderte Kapitel widmet das Autorentio dem ganzen Aus-
maß der Vertuschungen: wichtige Spuren wurden „versehentlich“ vernichtet, Beweismittel verschwanden im kriminalistischen Bermudadreieck des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich, einer glaubwürdigen Zeugin-, unterstellte man „Wahrnehmungsstörungen“ etc.
Das im Buch zusammengetragene Material belegt: An der offiziellen Version, derzufolge Grams erst den GSG-9-Mann Newrzella und danach sich selbst erschossen hat, bestehen erhebliche Zweifel. Ob es freilich zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens oder zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß kommt, scheint fraglich - schließlich ist hier nicht Italien.
Bleibt zum Schluß zu hoffen, daß Autoren und Verlag bei künftigen Auflagen ein solides Sachwortregister ergänzen.
GERHARD MOTHES
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