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Orang-Utans sind keine dummen Affen

Eigenbrötler werden oft unterschätzt, weil sie menschlichen Tests nicht mitspielen

  • Lesedauer: 2 Min.

(ND). Der Mensch mißt Tiere allzugern an sich selbst. Und weil ihm seine Gehirnleistungen besonders imponieren, pflegt er auch anderen Kreaturen daran zu messen. Doch diese anthropozentrische Sicht hat Intelligenzforscher nicht selten irregeleitet.

Ein frappantes Beispiel bieten Beobachtungen und Untersuchungen an den großen Menschenaffen, von denen Schimpanse und Zwergschimpanse sowie der Gorilla in Afrika heimisch sind, der vom Aussterben bedrohte Orang-Utan in den letzten Regenwäldern auf Sumatra und Borneo. Weil der Mensch als geselliges Wesen kommunikativ orientiert ist und Schimpansen ihm darin gleichen, war das Vorurteil v bald fertig: Dies seien die in- v

telligentesten Affen, die Orang-Utans dagegen die am wenigsten geistig regen. Das ist im Grunde die Sicht des Zoobesuchers, für den die Streiche der Schimpansen einen höheren Unterhaltungswert haben als das gelangweilte Dahocken der rothaarigen Riesen aus Südostasien.

Mit dieser Eigenart des Temperaments sah sich auch der Verhaltensforscher Jürgen Lethmate aus Ibbenbüren in Westfalen konfrontiert, als er sich im Zoo von Osnabrück eingehender mit der Intelligenz von Orang-Utans beschäftigen wollte. Während Schimpansen das Spiel der Suche nach Wegen, eine hoch aufgehängte Banane mit Hilfe von Stöcken oder aufgestapelten Kisten zu angeln, begeistert mitmachen,

zeigen sich Orang-Utans in gleichen Situationen scheinbar völlig desinteressiert. Sie ließen sich einfach nicht verlocken, bereitgelegte Gerätschaften überhaupt nur auszuprobieren.

Statt dessen verblüfften sie den Experimentator wiederholt mit unerwarteten Erfindungen. Um sich zum Beispiel eine Süßigkeit durch das Gitter zu fischen, biß ein Weibchen einen Riemen aus einem Reifen. Aus diesem zufällig beobachteten Beispielen geistiger Beweglichkeit schloß Lethmate, daß die Orang-Utans nicht etwa dümmer als andere große Menschenaffen sind, sondern bei ihnen nur die etablierten Verfahren der Intelligenzforschung unangemessen sind.

Das veranlaßte ihn, mit sehr jungen Tieren zu arbeiten, die sich noch von Bezugspersonen lenken und anleiten lassen.

Wie er nun in Spektrum der Wissenschaft (11/94) berichtet, bewiesen diese Individuen tatsächlich im Laufe der Zeit einen Grad von Intelligenz, der dem von Schimpansen nicht nachsteht. Sie basteln sich Werkzeuge, planen ihren Weg durch ein Labyrinth, öffnen auch komplizierte Verriegelungen.

Erwachsene Orang-Utans reagieren auf menschliche Spielvorgaben nach Lethmates Ansicht deswegen nicht, weil sie im Verlaufe der Evolution gelernt haben, daß es in ihrem Lebensraum besser ist, einander aus dem Wege zu gehen.

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