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  • Kultur
  • DEMONTIERTE GEHEIMDIENSTLEGENDEN

Stories aus der Welt der Schlapphüte

  • Lesedauer: 4 Min.

Der Wirbel begann, noch ehe das Buch „DDR contra BRD“ erschienen war Während sich der BND die Druckfahnen diskret besorgte, rief Eckart Werthebach, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, am 12. Juli 1994 selbst beim Verlag an, um die ihn betreffenden Textstellen „auf Richtigkeit zu prüfen“ Den Vogel schoß Peter-Michael Diestel ab: Per einstweiliger Verfügung verhinderte er, daß das Buch weiter ausgeliefert wird. Ein Fall* für den Komödienstadel, denn er klagte gegen sich selbst. In einem Gastkommentar für die Anglerzeitung „Rute & Rolle“ (Heft 8/1993, Seite 9) erläuterte der letzte Innenminister der DDR, wie er sich im Sommer 1990 mit „führenden Repräsentanten eines osteuropäischen Geheimdienstes“ zum Angeln traf, damit die Konspiration gewahrt bleibe. Eben das behauptet der Buchautor ohne Quellenangabe. Die lauschigen Treffen bestritt Diestel nun an Eides Statt - sportlich gesprochen ist das ein klassisches Selbsttor für den „CDU-Querdenker“ , Ohne den Rummel wäre das Buch wohl bald in Vergessenheit geraten. Peter Ferdinand Koch, vormals Redakteur beim SPIEGEL, präsentiert im feuilletonistischen Plauderton

Peter Ferdinand Koch: DDR contra BRD. Die feindlichen Brüder Scherz Verlag Bern, München, Wien 1994. 480 S., geb., 48 DM.

Skandale und Geschichten aus der Welt der Geheimdienste. Beeindruckend ist seine Detailkenntnis; die Quellen des Autors sprudeln unerschöpflich. Es gelingt ihm aber nicht, die Fakten in einen politischen Rahmen zu stellen - dadurch bleibt der Stoff ohne inneren Zusammenhang.

Offensichtlich beutete Koch den Informationsfundus verschiedener Seiten aus; gleichwohl scheint er kein Freund der „Schlapphüte“ zu sein. Davon zeugen die schlechten Noten, die er KGB, HVA, CIA, BND oder Verfassungsschutz erteilt. Nur die „Dienste“ des Nahen Ostens entgehen seinem Verdikt. Eine differenzierte Sicht sucht man vergebens. Statt dessen erledigt der Autor die Thematik der modernen Geheimdienste mit einem historischen Rundumschlag von Lenin über Dzierzynski bis Krjutschkow So fällt er weit hinter andere einschlägige Publikationen, etwa die Walter Kriwitzkis, Jan Valtins oder Oleg Baschanows, zurück. Peinlich ist z.B. Kochs Versuch, großrussischen Chauvinismus

gegenüber der Ukraine, von den Tagen der Kiewer Rus bis ins 20. Jahrhundert, auf einer Buchseite „darzustellen“

Bemerkenswert sind dagegen die Charakteristiken, die der Autor von führenden Figuren des Metiers zeichnet. Der Abwehrchef Wilhelm Canaris, bekannt für seine Vorbehalte gegen das Naziregime und im April 1945 im KZ Flossenbürg hingerichtet, sei immer überschätzt worden. Nicht besser kommt der „Vater“ des BND weg. Ob in der Wehrmachtsabteilung FHO (Fremde Heere Ost) oder später beim Spionagedienst der BRD -Reinhard Gehlen wirkt wie ein glatter Versager. Sein Hang, sich mit „alten Kameraden“ zu umgeben, bot seinen Gegnern zweifellos Ansatzpunkte. Das Ergebnis: mehr als ein Dutzend Apparate des Ostblocks unterwanderten den BND, sechs US-Dienste trieben ihr Unwesen mit ihm, französische und englische Dienststellen benutzten ihn als Spielball. So blieb für den BND nur die Rolle als „dummer August“

Schließlich nennt der Autor Markus Wolf einen „politischen Konjunkturritter“, der unter anderen Umständen auch im Westen Karriere gemacht hätte. Glaubt man Koch, dann war Wolf seinem Minister nie ge-

wachsen und lediglich Mielkes Faktotum. Tatsächlich habe der HVA-Chef nur von den Erfolgen anderer profitiert. Koch nennt die Namen: das Geheimdienstas Hans Fruck, Heinrich Weihberg, der die Industriespionage perfektionierte und den Abhörexperten Horst Männchen. Damit nicht genug; Wolfs Adlatus Peter Feuchtenberger sei vollauf beschäftigt gewesen, die privaten Affären seines Chefs unter der Decke zu halten. Dennoch seien dessen Trunk-und Sexeskapaden seit 1973 im Westen genau registriert worden. Überdies sei es dem französischen GCR (Groupement des Controles Radioelectriques) gelungen, in das MfS-Telefonnetz einzudringen und auch Wolf abzuhören. Als Quelle für diese Informationen nennt Koch das * „Archiv des Verfassers“ Der Autor möchte auf diese Weise seine Informanten schützen; verständlich bei dem Gegenstand. Den Lesern wird dadurch allerdings ein Vertrauensvorschuß abverlangt, den Koch an manchen Stellen leichtfertig aufs Spiel setzt, denn in seinem Archiv gibt es neben seriösen auch windige Quellen. Bleibt zu hoffen, daß der Autor für künftig geplante Auflagen das Buch überarbeitet. GERHARD MOTHES

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