Mit Gauck-Akte gegen 91 Prozent der Wähler
Der eine muß gehen, der andere darf bleiben: Streit um sächsische Bürgermeister mit IM-Akte Von MARCEL BRAUMANN, Dresden
In Königstein lenkt Bürgermeister Maiwaid weiter die Amtsgeschäfte
Foto: Wolfgang Schmidt
Der Bürgermeister der Gemeinde Wyhratal bei Borna, Uwe Keßler (CDU), ist wegen Stasi-Vorwürfen durch CDU-Landrat Werner Dieck von seinen Dienstpflichten suspendiert worden. Gleichzeitig errang Rudolf Maiwald (parteilos, früher CDU), Bürgermeister der Stadt Königstein, einen weiteren juristischen Sieg über das Landratsamt Sächsische Schweiz: Maiwald, der mit einer IM-Akte zeitweilig aus dem Rathaus vertrieben worden war, durfte sich am Mittwoch über ein Urteil des Dresdner Verwaltungsgerichts freuen, das die Ungültigkeitserklärung seiner Wahl aufhob. Doch in beiden Fällen haben weiterhin die Gerichte das Wort.
Erst die neuen Autokennzeichen „L“ des Großkreises Leipziger Land, die drastisch verteuerte Kraftfahrzeugversicherung, die, gestiegenen Müllgebühren, und dann wird den Leuten auch noch ihr Bürgermeister weggenommen. In der Gemeinde Wyhratal, die bis vergangenes Jahr zum Kreis Borna-Geithain gehörte, ist Volkes Stimme voller Zorn auf Landrat Dieck ob all des Ungemachs, für das der Mann allerdings nur teilweise verantwortlich ist. Inzwischen werden Unterschriften für Keßler gesammelt, der bei der letzten Kommunalwahl 91 Prozent der Stimmen erhielt. Zwar kursiert seit 1989 das Gerücht, Christdemokrat Keßler habe was mit der Stasi, doch seinen Ruf hat das nie in Mitleidenschaft gezogen. Keßler wurde 1985 als 25jähriger Ortsoberhaupt der damals eigenständigen Gemeinde Wyhra.
Hermann Berger, 50jähriger stellvertretender Bürgermeister (CDU) und seit Montag abend, 18.15 Uhr, mit der Wahrnehmung des Bürgermeisteramtes betraut, will sich „zur Verfügung stellen“, wenn seine Partei ihn ruft. Ob es aber
jemals zur Neuwahl kommt, ist höchst fraglich. Zunächst „ist es so, als ob der Bürgermeister krank wäre“,,erläutert,dje zuständige Dezernentin.,.., vjom Landratsamt, Brigitta Ast, auf ND-Anfrage. Der Stellvertreter könne ohne Votum des Volkes unbefristet das Amt ausüben. Und Keßler, der sich gestern
abend erstmals mit seinem Anwalt besprochen hat, will - wie der Kollege in Königstein - zunächst auf dem Gerichtsweg die aufschiebende Wirkung aller Bescheide aus dem Landratsamt erreichen. ,
Damit säße er schon bald wieder an seinem Schreibtisch, ganz im Sinne der zahllosen Bürger, die ihm derzeit telefonisch und mit Besuchen ihre Solidarität ausdrücken. Keßler war auch bei Hartmut Rüffert, Mitglied des Neuen Forums, anerkannt. „Man konnte jede Sache mit,,ihm ; .besprechen“, .erinnertsich* puffert gegenüber ND 1991 habe er mit Keßler eine Stunde über die Stasi-Problematik geredet. Gespräche mit den Leuten von Horch und Guck bestritt Keßler nie, dies
war in seinem Dienst unvermeidlich. Aber er „habe immer abwehrend reagiert“, zitiert Rüffert den CDU-Kommunalpolitiker
Rüffert fühlt sich nun enttäuscht, Keßler aber versicherte dieser Zeitung gestern, er habe Rüffert damals nichts verschwiegen. Im übrigen gebe es keine neuen Vorwürfe, der Bewertungsausschuß des letzten Gemeinderates habe ihm ja auf Grundlage derselben Akten Unbedenklichkeit bescheinigt. .Das könne Keßler,--nicht .;\vjsson, ,kontert Deze.rnenjin Ast, da er damals in die Unterlagen gär nicht hätte Einblick nehmen dürfen...
Eine Verpflichtungserklärung liegt offenbar nicht vor,
was Frau Ast nicht irritiert: Dies könne ja auch auf mündlichem Wege geschehen sein. Im Kreisausschuß am Mittwoch abend vertrat Landrat Dieck seine Auffassung, Keßlers Kooperation mit der Stasi habe das Dienstliche überschritten. Die Rede ist von Karteikarten-Vermerken aus dem Jahr 1988. Eine Diskussion dazu fand in dem Gremium nicht statt. Brigitta Ast, die die Gauck-Akte kennt, hält die Entscheidung des Landrats für zwingend. Keßler jedoch geht mit schiefen Vorwürfen in die Offensive: „Das ist keine Vergangenheitsaufarbeitung, das ist eine Kampagne.“ Im Gespräch beim Landrat sei ihm bedeutet worden, daß jemand, der schon zu DDR-Zeiten Bürgermeister war, heute nicht mehr Repräsentant einer Gemeinde sein könne. Der Landrat habe ihm angeboten, „unter fadenscheinigen Gründen zurückzutreten“ Weil er auf „die Unverschämtheit des Landrats“, nämlich „diesen Deal“, nicht eingegangen sei, solle er mit ein „paar schwarzen Punkten auf Karteikarten“ fertiggemacht werden.
Seine Gegner wollten „die Situation ausnutzen, daß der Landrat allein richten kann“, so Keßler Dies ist eine Folge des umstrittenen Sächsischen Beamtengesetzes, das seit Kommunalwahl 1994 auf die vom Volk gewählten Bürgermeister angewandt wird, da sie Beamte auf Zeit sind. Ändern könnte es nur die CDU-Mehrheit im Landtag, die so versessen darauf war, es zu be-
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