Die Unmutigen von Kosovo

Ein US-Amerikaner über die deutsche »Schutztruppe« in Prizren

  • David Binder, New York
  • Lesedauer: 4 Min.
David Binder (73) berichtete für die »New York Times« viele Jahre lang vom Balkan wie auch aus Bonn und Berlin.
»Mut auf dem Schlachtfelde ist bei uns Gemeingut, aber Sie werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten
an Zivilcourage fehlt.«
Bismarck

Amerikaner meiner Generation - Jahrgang 1931 - sind mit der Vorstellung aufgewachsen, ein deutscher Soldat sei auch immer ein tapferer Kämpfer. Dieser Eindruck setzte sich bei uns fest, wenn wir den bitteren Veteranen-Geschichten unserer Väter und Onkel aus dem Ersten Weltkrieg lauschten. So auch später, als unsere älteren Brüder von den Gefechten im Zweiten Weltkrieg berichteten.
Der Eindruck von einst ist heute Geschichte. Was seit kurzem über das deutsche KFOR-Kontingent in Kosovo zu uns dringt, lässt für mich nur einen Schluss zu: Den Kommandeuren der deutschen »Schutztruppe« fehlt es schlichtweg an Mut.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich meine nicht den gewöhnlichen deutschen Gefreiten. Dieser befolgt lediglich Befehle. Anders würde man es von einem deutschen Soldaten auch nicht erwarten. Ich spreche von ihren Vorgesetzten - jenen, von denen die Befehle kommen. Im Besonderen muss ich dabei Generalleutnant Holger Kammerhof und seinen Stab hervorheben. Sie kommandieren die 3600 Bundeswehrsoldaten, die im Südwesten der Krisenregion Kosovo ihren Dienst tun. Hauptquartier des deutschen Einsatzsektors ist die Provinzstadt Prizren.
In den vergangenen Wochen erlebte Prizren die schwersten ethnischen Unruhen seit Schaffung der internationalen Protektoratszone. Es war am 17. März dieses Jahres, als sich in Prizren die Spannungen zwischen albanischen und serbischen Kosovaren entluden. Albanische Extremisten liefen Amok gegen ihre serbischen Nachbarn. Nach Angaben der UNMIK, der UN-Zivilverwaltung in Kosovo, wurden bei den gewaltsamen Ausschreitungen vom März über 800 Zivilsten verletzt. Auch bis zu 60 Soldaten der multinationalen KFOR-Truppe erlitten Verletzungen. Unter ihnen waren Italiener, die serbische Klöster in Decani und Pec gegen die Angriffe des Mob verteidigten; Griechen, die serbische Kirchen in Urosevac beschützten. Keiner der verwundeten Soldaten kam aus Deutschland.
Die Übergriffe in Prizren und der näheren Umgebung haben schlimme Folgen für die Region gehabt: Neun serbisch-orthodoxe Kirchen wurden schwer beschädigt oder gar völlig zerstört. Darunter vier mittelalterliche Schreine mitsamt ihrer jahrhundertealten Fresken und Ikonen. Das Kloster des Heiligen Erzengels Michael an der Bistrica etwa, ein Bau aus dem 14. Jahrhundert, wurde völlig niedergebrannt. Das Kloster lag im Sektor der Deutschen. Als Begründung für das Nichteinschreiten der örtlichen Bundeswehr-Schutztruppe gab Oberst Dieter Hintelmann, KFOR-Kommandeur von Prizren, am 10. April zu verstehen, dass »500 albanische Frauen und Kinder« die Einheiten am Ausrücken gehindert hätten.
Doch nicht nur die Soldaten, auch die 3500 Beamten der internationalen UNMIK-Polizei haben im Angesicht des brandschatzenden Mobs versagt. Der deutsche UNMIK-Polizeichef von Prizren, Wolfgang Zillekens aus Nordrhein-Westfalen, sprach seinen Leuten Anfang April jedoch ein großes Lob aus. Er sei »stolz auf die Arbeit« seiner Mitarbeiter und schließe ähnliche »Massenausschreitungen« für die Zukunft aus. Bedenkt man, dass in seinem Zuständigkeitsbereich mittlerweile so gut wie keine serbischen Einrichtungen mehr existieren, könnte Zillekens Voraussage durchaus zutreffend sein.
Pater Sava Janic, Sprecher des ebenfalls attackierten Klosters von Decani, wirft den deutschen Schutztruppen »völliges Versagen« vor. »Nicht eine einzige orthodoxe Kirche in Prizren konnten sie schützen«, klagte Janic. Dabei hätten nach Aussage des Paters die Aufmärsche der Albaner bereits in den Morgenstunden begonnen. Für die deutschen KFOR-Soldaten sei also genügend Zeit gewesen, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Als die skandierende Menge schließlich durch die Straßen Prizrens zog, hätten die Deutschen sich mehrheitlich in ihre Basis zurückgezogen. Nicht einmal die Bischofsresidenz haben sie beschützen können.
Wenigstens der Bischof selbst wurde von Soldaten evakuiert, als erste Brandsätze das Gebäude trafen. Es brannte kurz darauf nieder. Pater Janic wirft der Bundeswehrführung in Kosovo vor, sie habe an jenem 17. März zu viel Zeit tatenlos verstreichen lassen. Selbst als die albanischen Aufständischen sich auf den Weg zum fünf Kilometer südlich gelegenen Kloster des Heiligen Erzengels Michael machten, um diesem das gleiche Schicksal zu bescheren wie zuvor dem Bischofssitz, seien keine Truppen verlegt, keine Straßen abgesperrt worden. Lediglich die Mönche habe man in Sicherheit gebracht. Das Kloster überließ man dem Mob - der legte es in Schutt und Asche. Die deutsche Flagge aber, so Pater Janic, wehe noch immer unbeschädigt über den Trümmern.
Auf einer Pressekonferenz nach den Übergriffen vom März äußerte sich auch Bischof Artemije von der serbischen Diözese Kosovo-Metohija. Er sparte nicht mit Kritik an der deutschen Schutztruppe: »Ihre Mission ist gescheitert. Sie haben hier nichts mehr verloren.« Und Pater Janic fügt hinzu: »Nach allem, was die Deutschen dem Balkan in zwei Weltkriegen angetan haben, sollten sie sich hier nicht auch noch als Friedensstifter versuchen.«

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