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Reger Kontakt, aber Basis verlagert

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Geißler kann das Wahlprogramm seiner Partei nicht gelesen haben. Danach will man beispielsweise soziale Hilfen auf ihre „Sachgerechtigkeit überprüfen“ lassen und möchte Zwangsarbeit für Arme einführen. Internationales taucht nur im Zusammenhang mit „Wettbewerbsfähigkeit“ und Kriminalität auf.

Der CDU-Spitzenkandidat in Bremen, Ulrich Nölle, sagt's klipp und klar: „Wir können nicht beides haben - Vogelschutzgebiete und mehr Arbeitsplätze.“ Er weiß: „Nur Unternehmer schaffen Arbeitsplätze.“ Daher sei mehr Markt und weniger Staat nötig.

Bündnis 90/Die Grünen in der Hansestadt wiederholen immer wieder, „mit dieser CDU in Bremen“ sei eine schwarzgrüne Koalition unter gar keinen Umständen möglich. Was die CDU mit dem Hinweis quittiert, ein solches Bündnis sei völlig ausgeschlossen angesichts der Politik des früheren Senators Ralf Fücks.

Wenn dann doch jemand in Bremen von schwarz-grün spricht, kann schon einmal ein Riß durch die Familie gehen, zum Beispiel bei den Trittins. Sohn Jürgen lebt als einer der Bundessprecher von Bündnis 90/Die Grünen inzwischen in

Bonn, doch die Eltern wohnen noch im Bremer Stadtteil Lesum. Sie sind zur geplanten Abschlußkundgebung einer Fahrrad-Wahlkampftour der Bündnisgrünen mit Jürgen Trittin und dem hanseatischen Spitzenkandidaten Fücks nach Bremen-Vegesack gekommen. Mutter Trittin schimpft: „Der Ralf Fücks mit seinem blöden Müllkonzept hat uns geärgert.“ Doch trotzdem ist sie dafür, „daß Schwarz und Grün zusammenkommen“. Daher hat sie mit ihrem Mann ein entsprechendes Stimmensplitting vereinbart.

Die geplante Kundgebung muß ausfallen - mangels Zuhörern und Zuhörerinnen. Auf dem Platz in Vegesack warten nur Parteimitglieder und ein Großvater mit Enkel, dessen Frau Einkäufe erledigt. Er war früher FDP-Wähler, doch ist jetzt zu den Bündnisgrünen gegangen: „Die sind jetzt eine etablierte Partei“ Der liberale Gedanke sei wichtig, und den vertreten heute die Grünen.

Das sieht Ralf Fücks ähnlich: „Die Grünen sind nicht mehr in erster Linie aktionsorientierte Partei.“ Und zugegebenermaßen „organisieren sich Jugendliche nur noch punktuell“ bei den Bündnisgrünen, die jedoch „regen Kontakt“ zu ihnen hätten. Allerdings: „Wir haben unsere Basis verlagert“, bei Mitgliedern wie Wählern.

Ob das auch für die SPD gilt? Beim Auftritt der Troika Scharping, Lafontaine und Schröder mit dem Bremer Spitzenkandidaten Klaus Wedemeier sind Fahnen und Schutzhelme der IG Metall zu sehen. Auffällig, daß die^Redner. die^Parteimit* glieder mit Sie ansprechen und nicht mehr Genossinnen- und-, Genossen, sondern Freunde und Freundinnen sagen. Wedemeier duzte nur Norbert Blüm: „Du sollst die Arbeitslosigkeit bekämpfen und nicht die Arbeitslosen.“ Gerhard Schröder übernahm für die Aufforderung zur Wahl der SPD den Wahlspruch der CDU aus den 50er Jahren: „Laßt die Experimente sein!“ Damit wandte er sich vor allem gegen die Kandidatur von „Arbeit für Bremen“, im wesentlichen eine Abspaltung am rechten Flügel der SPD.

Doch auch die „experimentellen Überlegungen“ von Johann Heeren dürften Schröder

nicht gefallen. Bei den zurückliegenden Wahlen hat Heeren immer SPD gewählt, verrät er, als er am Info-Stand der Sozialdemokraten im Buntentorviertel stehen bleibt. „Die ist das kleinere Übel“, begründet er seine Entscheidung. Aller-

dings - er spricht auch von „Bewegungsverrätern in den Linksparteien“ Den Sozialdemokraten kann er nicht vergessen, daß sie entgegen ihren Wahlversprechungen Gelder für den Bau von Panzerkreuzern bewilligt hat. Das war al-

lerdings der Bremer Senat unter Reichskanzler Hermann Müller 1928, und da war Johann Heeren \7 Jahre alt. Doch da er sich an die Vergangenheit erinnert, überlegt er heute, mit 84 Jahren, ob er dieses Mal nicht vielleicht PDS wählen sollte.

Helferin am Stand ist Anneliese Leinemann, 71jährig, seit 1958 SPD-Genossin und 20 Jahre lang Bürgerschaftsabgeordnete. Sie spricht der PDS die Verantwortung für „viel Schlimmes in der DDR“ zu und hält eine Zusammenarbeit nach der Wahl mit der PDS „auf keinen Fall“ für möglich aber- „In vier Jahren mag das anders sein.“ Das bedeutet immerhin, daß eine langjährige Politikerin der Sozialdemokraten vom sicheren Einzug der PDS sogar in die übernächste Bürgerschaft ausgeht. Und die Plakate der SPD - vor allem ein Vierfarb-Großporträt von Bürgermeister Wedemeier mit dem Schriftzug „Kompetenz mit Namen“ - scheinen Anneliese Leinemann nicht so sehr zu gefallen: „Das witzigste Plakat hat die PDS: .Nach der Ampel links'“

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