Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Die Todesspritze auf Wunsch

Aktive Sterbehilfe für Lebensmüde wird in Niederlanden toleriert

  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Arzt gibt einem schwerbehinderten Baby eine tödliche Injektion. Ein Psychiater verschafft einer stark depressiven Patientin eine Überdosis Tabletten, damit sie sich das Leben nehmen kann. Ein Chirurg erfüllt den Wunsch einer 86jährigen Frau, ihr wegen ständiger Schmerzen eine Giftspritze zu geben. Das sind nur drei Beispiele für niederländische Ärzte und Psychiater, die „aus humanitären Gründen“ töteten. Sie blieben unbestraft.

Seit zwei Jahren wird aktive Sterbehilfe in den Niederlanden gesetzlich toleriert, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: Der Patient muß im Sterben liegen, an unerträglichen Schmerzen leiden, mehrmals um eine Beendigung seines Lebens gebeten haben und bei vollem Verstand sein. Doch in den vergangenen Monaten sind mehrmals Ärzte in Musterprozessen freigesprochen worden, die auch in anderen Fällen Sterbehilfe leisteten.

So beschloß in der vergangenen Woche ein Gericht in Alkmaar, einen 49jährigen Chirurgen nicht weiter zu verfolgen, der ein schwerkrankes

Baby auf Drängen der Eltern getötet hatte. Das Mädchen war mit einem Wasserkopf, einem offenen Rücken und Hirnschäden geboren worden und schrie ständig vor Schmerzen. Der Arzt erklärte vor Gericht, ihm und den Eltern sei es darum gegangen, das Leiden des Neugeborenen zu verkürzen.

Im vergangenen Jahr hatte der Hohe Rat in Den Haag, das höchste niederländische Gericht, bereits einen Psychiater von weiterer Strafverfolgung freigestellt, der einer traumatisierten Frau eine tödliche Medikamentendosis besorgt hatte. Die Frau war körperlich gesund, empfand ihr Leben aber als Qual und war nach Angaben des Psychiaters nicht davon abzubringen, sich umzubringen: „Sterbehilfe“ für Lebensmüde.

Diese Grundsatzurteile setzen die sozialliberale Regierung in Den Haag unter Druck. Die tonangebende linksliberale Tageszeitung „De Volkskrant“ forderte das Kabinett von Ministerpräsident Wim Kok in der vergangenen Woche auf, ein neues, erweitertes Sterbehilfe-Gesetz im Parlament ein-

zubringen: „Die gesellschaftliche Akzeptanz dafür ist in ausreichendem Maße gegeben.“

Justizministerin Winnie Sorgdrager hat bereits erklärt, ein Arzt müsse unter Umständen auch einem Patienten, der sich nicht in der „Sterbensphase“ befinde, ungestraft dabei helfen können, sein Leben zu beenden. Voraussetzung ? dafür müsse allerdings sein, daß der Patient nachdrücklich darum gebeten habe und sein Leiden „aussichtslos“ sei. Eine Mehrheit im Parlament unterstützt die Ansicht der Ministerin.

Doch es melden sich auch kritische Stimmen. Der Schriftsteller Willem Jan Otten meint: „Ich habe Angst, daß die Einsamkeit für viele alte Menschen so unerträglich wird, daß wir den sogenannten authentischen Todeswunsch als Ausweg benutzen. Das wäre der Horror für mich. Daß wir ein Klima schaffen, in dem es so selbstverständlich ist, daß Menschen kapitulieren, daß man sie ganz einfach nimmt, die Pille...“

CHRISTOPH DRIESSEN, dpa

Wir sind käuflich.

Aber nur für unsere Leser*innen. Damit nd.bleibt.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Werden Sie Teil unserer solidarischen Finanzierung und helfen Sie mit, unabhängigen Journalismus möglich zu machen.

- Anzeige -
- Anzeige -