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Oktavensprünge und Vibrato

Sänger haben eine erstaunlich feine Kontrolle über ihren Stimmapparat Von PETER BUCHLER

  • Lesedauer: 4 Min.

Wissenschaftler haben zuweilen was Ernüchterndes. Da möchte einer gern wissen, wie der Stimmapparat von Luciano Pavarotti funktioniert. Ingo Titze, Universitätsprofessor und Direktor des Nationalen Zentrums für Stimme und Sprechen in Iowa City/USA, bedauert sogar, freilich nicht allen Ernstes, daß niemand Pavarottis Kehle aufschneiden kann, um herauszufinden, was genau dort abläuft. Aber vielleicht ist der Forscher ebenso fasziniert von Pavarottis Stimme wie von der Tatsache, daß ein Paar feuchter, vibrierender Hautbänder - nichts anderes sind die Stimmbänder - hinreißende Opernarien hervorbringt.

Motor der Stimme ist wie bei einer Orgelpfeife ein Luftstrom. Beim Ausatmen wird die Luft durch den mal mehr, mal weniger geschlossenen Spalt zwischen den beiden Stimmbändern, die Stimmritze, gepreßt. Das läßt die Stimmbänder vibrieren. Das Geheimnis der Stimme liegt zunächst in der feinen Einstellung von Länge und Spannung der Stimmbänder sowie deren Stellung zueinander. Die Tonhöhe hängt von der Anzahl der Schwingungen der Stimmbänder pro Sekunde ab. Sie wird wie bei einer Saite über die Länge und Spannung reguliert. Die Lautstärke hängt vom Ausschlag der Schwingungen ab und somit vom Druck, mit dem die Luft durch die Stimmritze gepreßt wird. Und die Klangfarbe schließlich beruht auf Art und Anzahl der mitschwingenden Obertöne, die in Rachen, Nasenhöhle und Nebenhöhlen erzeugt werden.

Eine Vielzahl unterschiedlicher Muskelgruppen wirkt

beim Sprechen und mehr noch beim Singen mit. Meister der Sangeskunst verfügen über eine äußerst feine Kontrolle über die beteiligten Muskeln. Sie sind beispielsweise in der Lage, ihre Bauchmuskeln augenblicklich und vollständig zu entspannen und zugleich das Zwerchfell anzuspannen.

Eine besondere Rolle für die Stimme spielt die nur einen Millimeter dicke Schleimhaut, mit der die Stimmbänder überzogen sind. Sie dämpft die Zusammenstöße der vibrierenden Stimmbänder ab. Und sie spielt eine zentrale Rolle bei der Umwandlung der Energie des Luftstroms in Schallwellen. Jorge Lucero von der Universität von Brasilia fand heraus, daß eine dickere und feuchtere Schleimhaut wirksamer als eine dünnere und trockenere ist. Denn sie sorgt dafür, daß mehr Bewegungsenergie des Luftstroms in Schall umgesetzt wird.

Daß gut geschmierte Stimmbänder für eine wohlklingende

Stimme sorgen, könnte tatsächlich der Wirklichkeit entsprechen. Dafür sprechen zumindest Ergebnisse von David Wexler und seinen Kollegen an der Universität in Iowa City. Sie hatten Patienten, deren Stimmbänder zuvor bei Operationen verletzt worden waren, Fett unter das vernarbte Gewebe gespritzt. Dies führte wieder zu einer verbesserten Beweglichkeit der Stimmbänder. Das heißt jedoch nicht, daß beleibte Menschen, die häufig unter Sängerinnen und Sängern anzutreffen sind, besser geschmierte Stimmbänder und deshalb eine wirkungsvollere Stimme besäßen. Niemand habe bisher bewiesen, so Titze, daß Übergewicht etwas mit besser gefetteten Stimmbändern zu tun habe, wenngleich das durchaus möglich scheine. Wenn nicht die geschmierten Stimmbänder - was dann macht den Unterschied aus zwischen der Stimme von Montserrat Caballe und einer normalen?

Die richtige Mischung aus hohen und tiefen Tönen spielt eine entscheidende Rolle. Fehlt die hohe Tonlage zwischen 2500 und 3500 Hertz, klingt die Stimme dunkel und leblos. Fehlen niedrige Frequenzen zwischen 100 und 500 Hertz, hört sich die Stimme schrill und blechern an. Sänger verstärken Bässe durch die Vergrößerung ihres Rachenraums und die Senkung des Kehlkop-

fes, wie es z.B. beim Gähnen auftritt. Hohe Tonlagen werden mit einem speziellen Hohlraum im oberen Kehlkopf verstärkt.

Sänger verfügen überdies über eine scharfe Wahrnehmung ihrer eigenen Stimme. Sie registrieren die Vibrationen im gesamten Kopfbereich, besonders aber die des harten Gaumens und der Wangenknochen. In der Stimmbildung wird das harmonische Zusammenspiel aller Teile des Stimmapparates eingeübt. Dazu gehören richtige Körperhaltung und Atemführung ebenso wie die Schulung aller Muskelfunktionen im Mund-, Kehlkopf- und Atmungsbereich. Übungen mit graduellen Tonabstufungen dienen dazu, die ideale Position der Stimmbänder zu finden.

Bei einem Vibrato wird ein anhaltender Ton erzeugt, der etwa einen Viertelton um eine bestimmte Tonhöhe schwankt. Das entspricht ungefähr drei Prozent der Tonhöhe oder vier bis sechs Schwingungen pro Sekunde. Nichts höre sich grausamer an als ein langsames Vibrato, meint Titze, das mit mehr als vier Hertz um die Tonhöhe schwanke und vermutlich jedem regelmäßigen Kirchgänger zur Genüge bekannt sei. Bei einem kunstvollen und mit Tempo vorgetragenen Vibrato dagegen beträgt die Schwankungsbreite sogar nur ein Prozent.

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