Einfach falsch übersetzt
Die „Lässigkeit“ der Gasteltern wird durch die Aussage eines Mädchens im Film untermauert, das behauptete, die Gasteltern hätten zu ihr gesagt, sie könne nach Hause kommen, wann sie wolle, irgendwann. In einer eidesstattlichen Erklärung strafte die befragte Gastmutter das Mädchen Lügen. Aber auch die Schülerin beteuerte, sie hätte es so verstanden. Das eben genügte dem er Gericht nicht. Die Schülerin habe „möglicherweise mangels hinreichender Kenntnisse der englischen Sprache
die Äußerung ihrer Gastmutter mißverstanden und dementsprechend später im Interview - wenn auch ungewollt - falsch 'w'fedfe'fgegeben“, hieß es 1 iii der Urteilsbegründung.
In einem 1 anderen O-Tön des Kommentators verlautet, die Schüler würden sich „in einschlägigen Kneipen“ treffen. Die Kamera zeigt dazu zunächst eine Gaststätte namens „Sherlock Holmes“, in der Alkohol ausgeschenkt wird, und schwenkt dann zur Disco „Ziggys“ Beide dienen jedoch, wie unter anderem die eidesstattlichen Erklärungen mehrere Schüler belegen, eben nicht als Treffpunkt der Teilnehmer von Matthes-Sprachreisen. „Ziggys“ wird vor allem von englischen Jugendlichen besucht. Den deutschen Schülern ist jeglicher Alkoholgenuß untersagt. Sie besuchen Discotheken ohne Alkoholausschank und werden von durch die Firma Matthes angemieteten Busse um 22 Uhr nach Hause gefahren.
„Nicht nur Alkohol und Schlägereien, auch Sex steht auf dem Programm. Für Schü-
ler und für Lehrer“, läßt der Münchner Filmemacher die Zuschauer weiter wissen. Als Beleg wird das Interview mit einenT '„'Jürgeii-Matthes L'eTirer“ (eingeblendete Unterzeile) Wiedergegeben,' der eindeutig im betrunkenen Zustand vom „Wettaufreißen“ der Schülerinnen spricht. Hier hat das Gericht festgestellt, daß die Worte des Lehrers falsch über-
setzt wurden. Der Interviewte erklärte inzwischen selbst an Eides statt, daß die Filmemacher ihn betrunken gemacht und dann versucht hätten, ihn mit Geld zu bestechen. Er sollte ihnen genehme, skandalöse Anschuldigungen gegen die Sprachreisen-Firma machen. Er habe sich jedoch geweigert.
Unterlegt mit Filmaufnahmen aus den öffentlichen Diskotheken „Ziggys“ und „Shuttle“ wird kommentiert: „Kiffen, tanzen, jede Menge Alkohol und natürlich Sex. Das sind die Exzesse, die viele Kids nach Eastbourne locken. ... Nightlife statt Büffeln. Endlich mal allein unterwegs, weg von den Eltern und garantiert keine Aufsicht.“ Belege für Drogen-, Alkoholund Sexexzesse bleibt der Filmproduzent jedoch schuldig.. Gezeigt werden Szenen aus dem „Shuttle“, einer Schülerdisco ohne Alkohollizenz. Ein Mädchen zieht an einer normalen Zigarette. Sie ist zudem Norwegerin und hat mit der er Sprachreisegruppe nichts zu tun.
Auch gegen diese „Unwahrheiten“ wartet Matthes mit eidesstattlichen Versicherungen auf, vom Disco-Besitzer und von einem „youth workers“, der gerade zur Zeit der Filmaufnahmen eine routinemäßige Kontrolle zu Alkohol und Drogen in der Disco durchführte. Ergebnis: nothing nichts.
In einer anderen Filmeinstellung ein blonder Junge, der von zwei Mädchen regelrecht abgeknutscht und zu Boden gerissen wird. Alle wirken betrunken. Die Recherchen von Matthes ergaben später, daß die drei keineswegs alkoholisiert waren. Zudem ist der Junge Engländer und die Mädchen Norwegerinnen, und alle waren sie nicht mit Matthes gereist.
Die eidesstattlichen Erklärungen und Briefe an „stern tv“ von Schülern, Lehrern sowie verschiedenen Leuten aus Eastbourne füllen inzwischen einen dicken Ordner bei Jürgen Matthes. 1 Die umfangreichen Untersuchungen ergaben ' weitere Aspekte' des' fragwürdigen Vorgehens des Münchners. Ein ehemaliger Lehrer soll eine Tequila-Party geplant haben, auf die er Schüler der Sprachreisen-Firma locken
wollte, just in der Woche, als das Film-Team da war.
Ein Racheakt dieses Lehrers, fragt sich der Reise-Manager. Das Motiv der Münchner wird ihm jedoch immer ein Rätsel bleiben. Enttäuscht ist Matthes auch darüber, daß sich keiner der Sender weder vor der Ausstrahlung noch nach Erlaß der einstweiligen Verfügung bei ihm gemeldet, geschweige denn entschuldigt hat.
Der Beschuldigte indes ist sich offenbar keiner Schuld bewußt. In seiner Widerspruchsbegründung nennt Michael M. Gründe, die als fadenscheinig bezeichnet werden könnten. Ihn treffe „keine Verantwortung für den gesendeten Beitrag“, hinsichtlich „weiter Teile“ könne er nicht als Autor angesehen werden. Denn zwischen der von ihm an „stern tv“ gelieferten Fassung und dem schließlich zur Ausstrahlung gelangten Sendebeitrag bestünden „erhebliche Diskrepanzen“, behauptet Michael M. Dazu schickte er dem Zivilgericht nicht etwa jene an RTL gesandte Film-Fassung, sondern eine 90minütige Zusammenfassung des gesamten zur Verfügung stehenden Rohmaterials. Eigens für das Verfügungsverfahren erstellt - offenbar ein untaugliches Material, um die Behauptung des Beschuldigten zu belegen.
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