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  • Kultur
  • „Mäusefest“ von JOHANNES BOBROWSKI

Rainfarn macht unsichtbar

  • IRMTRAUD GUTSCHKE
  • Lesedauer: 3 Min.

„Also dann ist ja gut, und wenn du den Verlag doch nicht aufgibst undsoweiter, dann kriegst du also ein Bändchen“, schrieb Johannes Bobrowski im Juli 1964 an Klaus Wagenbach. Die Erzählungssammlung „Mäusefest“ war das dritte Buch im damals frischgegründeten Verlag Klaus Wagenbach - und das letzte des Autors zu Lebzeiten. Nun kam Johannes Bobrowskis „Mäusefest“ wieder heraus.

Die Titelerzählung ist die schönste: Ein alter Mann, Moise Trumpeter, sitzt in seinem Laden, es ist abends oder nachts, und der Laden ist leer Bis auf den Mond und die Mäuse - „mal tanzen sie so und mal so, und alles mit vier Beinen, einem spitzen Kopf und einem dünnen Schwänzchen“ Und dann geht die Tür auf, herein tritt ein Soldat... Was geschieht? Zunächst einmal nichts Aufregendes. Der alte Jude und der junge Deutsche schauen für eine Weile gemeinsam den Mäusen zu. Als der Soldat weg ist, redet Moise mit dem Mond. Was er laut in

Johannes Bobrowski: Mäusefest und andere Erzählungen. Mit einem Nachwort von Klaus Völker Verlag Klaus Wagenbach Berlin. 76 S, geb., 48 DM.

den Raum sagt, ist zu lesen aber was er meint, das muß der Leser erspüren...

Seine Prosa liege in dem Dreieck, das von Robert Walser, Isaak Babel und Hermann Sudermann gebildet wird, hat Bobrowski selbst einmal erklärt. Wie oft auch in seinen Gedichten beschwört er hier die Erinnerung an die Landschaften seiner Kindheit und Jugend - ^Tilsit, Rastenburg, Königsberg. In schöner, lyrisch ausgefeilter Sprache spricht er von seiner Traurigkeit.

Der Rainfarn, so heißt es in der gleichnamigen Erzählung, mache unsichtbar, wenn er zu Johanni gepflückt wird. Blüten in die Schuhe gestreut oder eine Dolde an die Mütze gesteckt, und man kann ungehemmt Leute beobachten, z.B. die rosige Frau Schnetzkat beim Sonnenbad oder den Herrn

Doktor Storost, dem der Wind die Zettel durcheinanderweht, auf denen er die ganze litauische Geschichte aufgeschrieben hat. Und das alles ist noch unbeschwert, heiter bis zum Spott. Aber dann kommt der Junge mit dem Rainfarn an die große eiserne Brücke, die über den Strom führt, und sieht ein paar Familien, „Väter, Mütter, Kinder, mit ein paar Taschen und Körben“ auf die andere Seite ins Litauische hinübergehen, ganz sicher so ganz freiwillig nicht - „und können erst wieder stehen bleiben und atmen, wo Deutschland zuende ist“ Unter der schimmernden Oberfläche dieser Prosa liegen viele Schichten - Gedanken, Gefühle und im Kern eine tiefe innere Zerstrittenheit. „Lauft* Leute, möchten wir sagen, und das könnten wir schon tun. Und den flotten Kerlen entgegentreten, die mit ihren Stiefeln und ihren Reden großtun, hinter den Familien her. Aber wir haben das ja nicht getan. Nicht einmal das Sträußchen Rainfarn nahmen wir von der Mütze, um es fortzuwerfen.“

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