Aspartam - das süße Nichts

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Erstmals in der Geschichte hat die Zahl der unterernährten Menschen und die der Überernährten einen makaberen Gleichstand erreicht.*Neue Hoffnung für die Dicken der Welt brachten süße Kalorienkiller: James Schlatter, Chemiker des amerikanischen Pharmaproduzenten G. D. Searle, testete 1965 Peptide, kurze Ketten aus verschiedenen Aminosäuren, als Präparate gegen Magengeschwüre. Versehentlich schüttete er sich im Labor Tropfen eines seiner Präparate über die Hand. Als er später beim Auflesen eines Papierschnipsels gedankenlos eine Fingerspitze mit der Zunge befeuchtete, schmeckte der Finger zuckersüß. Böse Zungen behaupten, er hätte in Wirklichkeit im Labor geraucht, was natürlich streng verboten ist.Die Testsubstanz besaß, wie sich später herausstellte, die 200fache Süßkraft von Rüben- oder Rohrzucker! Der neue Superzucker Aspartam ist ein »Mini-Eiweiß«, ein Methylester der beiden Aminosäuren L-Asparaginsäure und L-Phenylalanin. Beide können biotechnologisch durch Bakterien in Bioreaktoren produziert werden. Aspartam wird zwar von den Verdauungsenzymen im Darm gespalten, 1Gramm Aspartam, der Tagesbedarf an Süßem eines Erwachsenen, liefert aber nur 4 kcal, weit weniger als ein Hundertstel der Energie, die ein Mensch gewöhnlich mit Zucker zu sich nimmt. Der zweite Vorteil von Aspartam: Es ist nicht nur kalorienarm, sondern schmeckt (bis auf den fehlenden »Körper«) auch exakt wie Zucker, hat also nicht den metallischen Beigeschmack seiner Konkurrenten Saccharin und Cyclamat. Aspartam, meist als »Nutra Sweet« im Handel, kam zur rechten Zeit: Ende der 70er Jahre schwappte die Fitnesswelle über die USA. Als die »Mittelschicht«-Amerikaner joggten, Rohkostpartys gaben und mit der Kalorientabelle in der Hand einkauften, begann der Siegeszug von Aspartam. 10000 Tonnen pro Jahr werden inzwischen weltweit von dem Süßstoff erzeugt. Softdrinks wie »Pepsi Cola« verwenden oft reines Aspartam. In Coca Cola light wird es anderen Ersatzzuckern beigemischt. Es ist lebensmittelrechtlich zugelassen. Phenylketonurie-Patienten (0,006Prozent der Bevölkerung) seien aber vor Aspartam gewarnt, da es als Baustein die Aminosäure Phenylalanin enthält. Cola enthält dafür einen Extra-Warnhinweis. Kein Nährwert, kein Karies-Futter. Aber auch: Keine Fettposter? Experten bezweifeln das zunehmend. »Light«-Produkte suggerieren dem Körper beim Verzehr, dass viel Energie zugeführt wird, die aber dann nicht kommt Heißhunger des »enttäuschten« Körpers ist die Folge. Mit gelindem Grausen sehe ich meine (noch) schlanken chinesischen Studenten bei McDonalds auf dem Campus Schlange stehen. Aspartam ist, wie gesagt, 200 Mal süßer als Rübenzucker. Andere Süßstoffe wie Cyclamat sind 40 Mal, Acesulfam 200 Mal, Saccharin sogar 450 Mal süßer als Saccharose, haben aber einen »künstlichen« Geschmack. Oft mischt man verschiedene Süßstoffen, um »echten« Zuckergeschmack zu imitieren. Ein noch süßeres Eiweiß wurde in den Ketemfe-Früchten eines westafrikanischen Strauches (Thaumatococcus danielli) entdeckt: Thaumatin (Handelsname Talin). Dieser Süßstoff besteht aus 208 Aminosäurebausteinen und ist etwa 2500 Mal süßer als Zucker. Da die Kosten zur Gewinnung dieses Süßstoffes aus den Pfeilwurzgewächsen sehr hoch sind, versucht man, sie durch genmanipulierte Mikroben herstellen zu lassen. Viele Tiere lieben Thaumatin. Es hält sich das hartnäckige Gerücht, dass Katzen eine bestimmte Katzenfuttermarke nur deshalb so heftig begehren und riesige Massen fressen, weil der Hersteller Thaumatin zusetzt. Bisher sagte man hier zu Lande nur, dass sich Hund und Herrchen gleichen...

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