DDR-Solidarität ist in Vietnam nicht vergessen
HANS MODROW über das Land, das den Spagat zwischen Marktwirtschaft und Sozialismus versucht
Der PDS-Ehrenvorsitzende HANS MODROW bereiste kürzlich die Sozialistische Republik Vietnam. Nach den Eindrücken, die er bei Begegnungen u.a. in Hanoi, Ho-Chi-Minh-Stadt und Vinh sammelte, befragte ihn DETLEF-DIETHARD PRIES.
Zum zweiten Male nach dem Ende der DDR waren Sie in Vietnam. Offenbar hat man in der KPV die früheren Genossen nicht vergessen?
So ist es. Ich hatte ausführliche Gespräche mit KP-Generalsekretär Do Muoi und mit anderen Vertretern der Partei und der Regierung Vietnams.
Wie erklären Sie sich deren Interesse?
Erstens ist die Solidarität der DDR mit Vietnam unvergessen. Das habe ich vor allem in Vinh gespürt, wo seinerzeit 1500 Wohnungen mit DDR-Unterstützung gebaut wurden. Zweitens hat die KP Vietnams ein verständliches Interesse daran, zu erfahren, worin die PDS heute - mit Abstand - die Ursachen für den Untergang des Realsozialismus in Europa sieht. Und schließlich ist die KPV generell an Kontakten zu anderen Parteien, ob kommunistisch, demokratisch-sozialistisch oder sozialdemokratisch, interessiert.
Welche Schlußfolgerungen hat die vietnamesische Führung selbst aus dem Unter-
gang des Sozialismus in Europa gezogen?
Wir müssen anerkennen, daß die Vietnamesen schon Mitte der 80er Jahre vor der Notwendigkeit standen, ihren Kurs kritisch zu überdenken. Für Vietnam war dieses Jahrhundert überwiegend von Krieg und Kolonialismus geprägt. Als endlich eine friedliche Entwicklung begann - in den 80er Jahren -, war das die Herausforderung, zu prüfen, ob die bis dato angewandten Methoden noch taugen. Die Antwort war „nein“, und das war der Beginn ihrer Politik der Erneuerung.
Charakterisiert wird dieser Kurs durch konsequente Öffnung des ganzen Landes, nicht einzelner Zonen, und die Anwendung marktwirtschaftlicher Prinzipien. Das- Wirtschaftswachstum lag in den letzten Jahren stets über 10 Prozent.
Die Kehrseite läßt sich allerdings nicht verbergen ...
Ja, die KPV übersieht selbst nicht, daß die marktwirtschaftliche Entwicklung auch bei sozialistischer Orientierung
zu einer Polarisierung der Gesellschaft führt. Der Unterschied zwischen arm und reich wird nicht zuletzt im Gegensatz zwischen Hütten und Villen sichtbar. Auf dem KPV-Parteitag im Juni soll darüber gesprochen werden, wie solche
Prozesse 7i] hfieinfhissßn sind.
Was macht Ihrer Meinung nach überhaupt das Sozialistische an Vietnams Orientierung aus?
Man spricht von „Mehrsektoreneigentum“, was heißt, daß entscheidende Teile der Wirtschaft nicht privatisiert werden sollen. Grund und Boden werden verpachtet, nicht privatisiert. Nicht die Produktion, aber Absatz und Versorgung in der Landwirtschaft werden weitgehend genossenschaftlich geregelt.
Was das Festhalten an sozialen Einrichtungen betrifft, so ist das bis jetzt - wie mir scheint - sehr subjektiv bedingt. In einer Hanoier Textilfabrik hieß es beispielsweise, die Marktwirtschaft lasse keine Chance mehr für Betriebskindergärten. In Vinh dagegen sagte der Direktor eines Betriebes, er verzichte auf ausländisches Kapital, weil er andernfalls rasch 200 Angestellte entlassen müßte. Durch Modernisierung der vorhandenen
Technik hofft er trotzdem, konkurrenzfähig zu bleiben. Noch unterhält er auch einen Kindergarten. Die Frage ist, ob und wann der Markt auch ihn zu anderen Schritten zwingt. Für mich ist noch nicht entschieden, ob der Spagat zwischen Marktwirtschaft und Sozialismus gelingt.
Welche Rolle spielt die Bundesrepublik als Partner in den Plänen Vietnams?
Die BRD liegt im vietnamesischen Außenhandel auf Platz 5-7, als Investor aber erst auf Platz 23. Man wünscht sich, daß sie sich stärker engagiert, vor allem im Maschinenbau, bei der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte und im Tourismus. Zu den 1,3 Millionen Touristen etwa, die Vietnam im letzten Jahr zählte, gehörten nur wenige Deutsche.
Seinen Hintergrund hat das Streben nach Zusammenarbeit wiederum auch in den Erfahrungen mit der DDR. In Ho-Chi-Minh-Stadt habe ich vor Mitgliedern der Freundschaftsgesellschaft Vie'tnam-Deutschland gesprochen. Da waren viele, die in der DDR studiert hatten und inzwischen leitende Positionen in Wirtschaft, Wissenschaft, Gesundheitswesen einnehmen. Ein gutes Dutzend etwa gehörte zu
den „Moritzburger Kindern , die schon in den 50er Jahren hier ausgebildet wurden. Die sagen: Die DDR war unsere zweite Heimat, und wir bleiben deren Menschen verbunden.
War die „Rückführung“ von Vietnamesen aus Deutschland ein Gesprächsthema?
Ja, ich habe auch mit vietnamesischen Stellen darüber gesprochen, wie man mit denen umgehen sollte, die in der DDR gearbeitet haben. Es ist ja so: Nach sechsjährigem Aufenthalt erwerben Ausländer in der Bundesrepublik bestimmte Rechte. Bonn rechnet den hier lebenden Vietnamesen die Jahre vor Abschluß des Abkommens 1994 jedoch nicht an. Dabei hat sich die Bundesregierung im 2+4-Vertrag verpflichtet, die Verträge der DDR anzuerkennen. Auch wenn diese Verträge zeitlich begrenzt waren: Die Fristen dafür sind längst überschritten, die Vietnamesen leben hier und sie sollten die gleichen Rechte erhalten wie andere.
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