Ein Henker, Chemnitz und die Kunst
SS-Mann Thümmler wittert Morgenluft Von HANS GEORGE
Eigentlich erstaunlich, daß sich der einstige SS-Obersturmbannführer und Oberregierungsrat im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), Dr. Johannes Thümmler, erst jetzt mit seinen dreisten Rückforderungsansprüchen an die Stadt Chemnitz wendet (ND, 21. 5., Seite 10). Andere seiner Couleur waren da früher zur Stelle. Aber vielleicht liegt es daran, daß ihm die politischen Gegebenheiten in dem Staat, in dem Chemnitz noch Karl-Marx-Stadt hieß, nicht ganz gelegen haben.
Aus gutem Grund. Thümmler, heute 89 Jahre alt, war schon vor 1933 Hitlers Partei beigetreten - Mitgliedsnummer 1425547 - und nach 1933 auch bald der SS - Mitgliedsnummer 323711. Im Dresdner Polizeipräsidium und bei der Amtshauptmannschaft Schwarzenberg erwarb er sich Vertrauen und mit weiteren Beförderungen belohnte Verdienste bei der Verfolgung von NS-Gegnern. Er wurde Leiter der Staatspolizei(leit)stellen Chemnitz und Dresden. Wechselte dann nach Kriegsbeginn bald als Leiter der Gestapo nach Kattowitz im okkupierten Polen.
Aus jener Zeit stammt u. a. ein Schreiben Thümmlers an den Oberstaatsanwalt in Teschen, in dem darum gebeten wird, den 21jährigen Stanislaus Fiwger „dem Standgericht bei der Staatspolizeileitstelle Kattowitz zu überstellen und ihn nach dem Konzentrationslager Auschwitz zu meiner
Verfügung zu überführen“. Gegen den Polen, so schreibt Thümmler, „schwebt ein Standgerichtsverfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat. Er hat hier die Todesstrafe zu erwarten“. Nach eigenen Aussagen hat der sich heute als Kunstsammler offenbarende Ex-Gestapochef in einigen hundert Fällen als Standgerichtsvorsitzender im KZ Auschwitz gewirkt und war dabei an etwa 60 Todesurteilen beteiligt.
1964 konnte er als freier Mann Entlastungszeuge im Frankfurter Auschwitzprozeß sein. Auf eine staatliche Karriere hatte er nach 1945 verzichtet; bei der Carl-Zeiss-Stiftung in Oberkochen fand er einen wöhldotierten Posten als leitender Angestellter. Nach seinem Auftritt im Auschwitzprozeß waren von den DDR-Justizbehörden den zuständigen Stellen in der BRD Dokumente übergeben worden, die über die hier dargestellten Etappen aus dem Wirken Thümmlers hinausgehend auch Einzelheiten über dessen Beteiligung an Verbrechen des Einsatzkommandos 16 im besetzten Südosten Europas enthielten..
1970 sind alle Ermittlungen im Fall Thümmler eingestellt worden. Es bleibt zu hoffen, daß die Chemnitzer Stadtverwaltung bei ihrer verkündeten Haltung bleibt, daß ein Mann, „der sich zum Obersturmbannführer und Oberregierungsrat im Reichssicherheitshauptamt hochgedient hat“, kein Verhandlungspartner ist.
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