Über 50000 Fälle von Betrug bei Vermittlung und Verkauf von meist minderwertigen Immobilien seit 1991 haben Opfer auf der Internetseite www.immobetrug.de erfasst.
»Badenia, schick uns einen Verantwortlichen zum Gespräch«, rufen die rund 50 Demonstranten vor dem Glaspalast der viertgrößten deutschen Bausparkasse in Karlsruhes Arbeitervorort Oberreut. Und »Wir wollen Schroeder sehen!« Doch zeigt sich weder der Vorstandsvorsitzende noch sonst irgendjemand. Stattdessen ein Schild an der Eingangstür: »Für Besucher heute geschlossen.«
Die Atmosphäre auf der anderen Straßenseite ist emotional aufgeheizt. Laute Rufe, Sprechchöre. Hier sind viele, denen das Wasser bis zum Hals steht. Hunderte Opfer betrügerischer Immobiliengeschäfte haben sich zu Internetforen wie www.immobetrug.de und www.immo-haie.de zusammengeschlossen, organisieren Proteste und Öffentlichkeitsarbeit gegen das »perfide Konzept«, mit dem Tausenden ahnungslosen Kunden überteuerte »Schrottimmobilien« angedreht wurden, erläutert Hans-Jürgen Höger, ein betroffener Lehrer, vor Journalisten die Sachlage.
Vor der Badenia sind sie schon zum dritten Mal, denn die Bausparkasse mit dem kreuzbraven badisch-biederen Image soll eine Schlüsselrolle in dem Immobilienskandal spielen, bei dem vorrangig in den 90er Jahren halbseidene Vertriebsfirmen wie Heinen & Biege in Dortmund, mittlerweile insolvent, Tausende Wohnungen aus dem Nachlass der Neuen Heimat überteuert und somit lukrativ vor allem an Kleinverdiener verscherbelten.
Die Masche, so Lehrer Höger, war simpel, weil für die Käufer einleuchtend vorteilhaft: Mit den Wohnungen ließe sich etwas für die Altersvorsorge tun und gleichzeitig Steuern sparen. Der besondere Clou dabei: Eigenkapital war nicht vonnöten und die Finanzierungsraten könnten spielend durch Mieteinnahmen kompensiert werden, machten rührige Vertriebsmitarbeiter den meist einkommensschwachen Kunden weis.
Was die Kunden nicht wussten: Die Verkaufspreise der Wohnungen waren zu rund 30 Prozent überteuert und oftmals kaum oder nur weit unter dem kalkulierten Preis zu vermieten. Folge: Tausende schlitterten in den finanziellen Ruin, nicht zuletzt da die Badenia, aber auch Banken wie die Commerz- und die Deutsche Bank, über die die Finanzierung abgewickelt wurde, sich unerbittlich zeigten. Dabei, so Lehrer Höger, habe beispielsweise die Badenia genaue Kenntnis von den kriminellen Machenschaften etwa bei Heinen & Biege gehabt, habe doch der ehemalige Badenia-Finanzvorstand Elmar Agostini im Beirat der Vertriebsfirma gesessen.
Gegen die hat sich laut Schreiben der Dortmunder Staatsanwaltschaft vom 1.10.2004 der Betrugsvorwurf in Sachen Immobilien-Geschäfte erhärtet. Auch Agostini sind mittlerweile Mannheimer Staatsanwälte auf den Fersen. Der mögliche Schaden wird bei 6000 Geschädigten allein für die Badenia auf rund 350 Millionen Euro geschätzt.
Das menschliche Unglück, das angerichtet wurde, dürfte weit schwerer wiegen. Viele der Betroffenen sind krank geworden, Ehen zerbrachen, Depression und Verzweiflung allüberall, heißt es bei den Protest-Initiatoren. Vier Selbstmorde sind aktenkundig. Der der 28-jährigen Krankenschwester Anja Schüller liegt gerade ein paar Wochen zurück. 1998 sei sie im Freundeskreis von einem Vertriebsmitarbeiter angesprochen worden, berichtet der Vater, SPD-Mitglied und thüringischer DGB-Funktionär. Stolz habe sie gegenüber den Eltern davon gesprochen, mit dem Kauf einer Wohnung in Chemnitz ihre Altersvorsorge in die eigenen Hände zu nehmen.
Aber statt der versprochenen Steuerrückzahlung kamen Nachforderungen der Baufinanzfirma, die mit väterlicher Hilfe gerade noch einmal bedient werden konnten. Bald hatte Anja Schüller das betrügerische System durchschaut. Der Vater schildert sie als lebensfrohe, kontaktfreudige und starke junge Frau. Finanziell am Ende, leistete sie einen Offenbarungseid und stellte die Ratenzahlungen für zwei Badenia-Bausparverträge über insgesamt 70000 Euro schließlich ein. Über das Düsseldorfer Anwaltsteam Reiter & Kollegen, das rund 300 Geschädigte vertritt und u.a. vom ehemaligen Bundesinnenminister Gerhard Baum unterstützt wird, versuchte sie einen Vergleich zu erreichen.
»Bis zuletzt hat sie darauf gehofft«, sagt ihr Vater verbittert, aber die Badenia lehnte ab. Anja verdiente 200 Euro zu viel! Als die Badenia an den Anwaltsverhandlungen vorbei Anja Schüller eine Gehaltspfändung ankündigte, konnte sie die neuerliche Schmach nicht mehr ertragen. Am 17. September nahm sie sich das Leben. Die Polizei fand neben ihrem Leichnam den Pfändungsbeschluss der Badenia.
Es fällt Klaus Schüller sichtbar schwer, darüber zu reden. Aber er möchte, dass es nicht noch mehr Menschen so ergehe wie seiner Tochter, sagt er mit brüchiger Stimme. Deshalb nimmt er auch vor dem Sitz der Badenia das Mikrofon und spricht deren Chef öffentlich und direkt an: »Die Badenia hat Anja in den Tod getrieben. Schauen Sie mir in die Augen«, ruft er fast flehentlich.
Weil Klaus Schüller der Ansicht ist, dass solchen Betrugsgeschäften auch gesetzlich begegnet werden muss, hat er an seinen Parteifreund Gerhard Schröder einen persönlichen Brief geschrieben. Vor Gericht haben die Geschädigten bislang eher schlechte Karten, denn die deutschen Gerichte hängen nach wie vor der so genannten Trennungstheorie an, nach der Immobilienkauf via Vertriebsfirmen und Kreditvertrag bei Banken und Bausparkassen zwei getrennte Vorgänge seien, die nichts miteinander zu tun hätten. So können Badenia und Bankenkonsorten - statt Wiedergutmachung leisten zu müssen - weitgehend ungestraft ihre Hände in Unschuld waschen und sich gar ihrerseits als Opfer gewissenloser Geschäftemacher gerieren.