- Politik
- »Meistersinger« in Bayreuth - eine neue Inszenierung von Wolfgang Wagner
Schöngesang und Butzenscheibenromantik
Bayreuth 1996: Die Wagner-Festspiele auf dem Grünen Hügel sind Magnet wie eh und je. Die Schönen und Reichen stellen mehr Reichtum als Schönheit zur Schau. Ein großes Nachrichtenmagazin ulkt, Eintrittskarten seien hier so exklusiv wie andernorts Aufsichtsratsposten. Der 76jährige Wolfgang Wagner, seit dem Tode des Bruders Wieland 1966 Hausherr im Theater, das sich einst Großvater Richard für seine Musikdramen errichten ließ, kann mit berechtigtem Stolz vorweisen, daß der - durch Rekonstruktion adrett hergerichtete -Bau für Musik und Szene des Meisters immer noch der durch kein anderes Theater ersetzbare Raum ist.
Wolfgang Wagner hat der Festspielidee des Großvaters neue Attraktivität verschafft. Nachdem vor allem Bruder Wieland durch seine kühnen, psychologischoptisch intensiven Neudeutungen der Wagner-Szene mit dem aus der Nazi-Zeit übrig gebliebenen braunen Mief und teutonischen Pathos aufräumte, sorgte Wolfgang dafür, daß auch nicht zum Wagner-Clan gehörige Regisseure und Bühnenbildner - oft heftig umstrittene - szenische Neudeutungen vorstellen konnten. Erinnert sei an ein ungemein anregendes und natürlich auch umstrittenes Beispiel: Heiner Müllers Auseinandersetzung mit »Tristan und Isolde«. Diese Inszenierung war auch in diesem Jahr Bestandteil des Festspielprogramms. Unter der sensiblen musikalischen Leitung Daniel Barenboims. Daneben gab's Alfred Kirchners etwas farbig-verspielte »Ring«-Tetralogie unter James Levine. Schließlich war noch einmal Wolfgang Wagners »Parsifak-Deutung zu sehen. Hier stand der Chef der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Giuseppe Sinopoli, am Pult, des Orchesters. .... :;, Von Wolfgang Wagner stammt auch die Neuinszenierung des Jahres: »Die Meistersinger von Nürnberg«, die dritte
Inszenierung dieses Werkes übrigens, die der Wagner-Enkel auf dein Grünen Hügel präsentiert hat. Einst hatte sein Bruder Wieland mit der Altnürnberger Butzenscheibenromantik dieses Stückes um die bieder-mittelalterliche Zunft der ehrbaren Meistersinger aufgeräumt. Auch anderen Ortes gab es danach manche Inszenierung, die dem Stück nicht nur das nationalistische Pathos nahm, sondern die auch seine vielfältigen bühnen-philo-
Foto: Bayreuther Festspiele
sophischen Aspekte zu betonen und aktuell zu machen wußte. Da ist die auf der Bühne geführte »Kunstdiskussion«, die Angst der »Kunstpäpste« vor dem Volk und seiner unkonventionellen Haltung. Da ist der merkwürdige und im Grunde ziemlich barbarische »Preis«, den Goldschmied Pogner für einen Sieg im Meistersinger-Wettbewerb aussetzt. Er, der reiche Bürger, verspricht dem Sieger die Hand seiner Tochter Eva. Nicht
bedenkend, daß damit über das Leben eines jungen Menschen verfügt werden soll. Und da ist jene rüde Prügelfuge, in der Nürnbergs Bürger einander nächtens in aller Grobheit die Fresse polieren. -Gewalt auf der Straße! Ein Ritter will Meistersinger werden, nur weil er eines Meisters Töchterlein liebt. Also auch Standesprobleme. Ein Meister wiederum hat es auf die gleiche Jungfer abgesehen, möchte sie sich aber nach allen. Regeln seiner Meisterkunst »ersingen«.
Die viel gerühmte Polyphonie der Wagner-Musik, das kraftvoll auftrumpfende C-Dur des Meistersinger-Marsches, mit dem schon die Ouvertüre beginnt, setzt das Ganze in ein virtuos verwobenes Gefühls- und Stimmengeflecht. In Wolfgang Wagners Szenen-Interpretation, für die er auch das Bühnenbild schuf, bleiben viele dieser Chancen freilich ungenutzt. Die neuen »Meistersinger« auf dem Grünen Hügel erweisen sich als kreuzbrave Zunft, zumeist auf versöhnlichen Ausgleich statt auf Streit bedacht. Ein Traum von Harmonie, in dem sich der alte Adel, die geldschweren Bürger und »das Volk« traulich zusammenfinden. - Doch wieder eine Spur jener Butzenscheibenromantik, gegen die Enkel Wieland einst wetterte und die Meister Richard selbst ironisch ersann, um sie musikalisch immer wieder kräftig auf die Schippe zu nehmen.
Der gemeinsame Bühnenbild-Nenner der Inszenierung ist eine über jeden Akt gebaute Rückwand, die als Teil eines gewaltigen Globus wirkt. Darauf erscheinen Segmente mittelalterlicher Sakralkunst (1. Akt), dämmert das alte Nürnberg auf (2. Akt), verschmilzt schließlich ein Geflecht aus Baumkronen mit den Farben der Festwiese, im letzten Akt. Davor die Szenen in minutiös gebautem, manchmal recht kahl wirkendem sachlichem Ambiente. Die Akteure selbst bewegen sich bedachtsam, freilich von der Regie sorglich geführt. Milieugerecht die Kostüme (Jorge Jara). Alles atmet betuliche Bravheit. Aus den Partien werden nur ansatzweise Charaktere. Die Auftritte der Lehrbuben geraten zu braven Volkstänzchen. Und die berühmte, drastische Prügelfuge im 2. Akt gerät zu harmloser tänzerischer Schubserei der aufgeschreckten Bürger in Nachtgewändern bei nächtlichem Dämmerlicht. Am Ende löst sich alles in jubelndem Wohllaut auf. Kunterbunt der Aufzug der Zünfte, groß der personelle Aufwand, liebevoll die Handwerkelei mit den Zunftsymbolen auf Fahnen und Fähnchen. Dem fehlt alleweil die Akzente und Kontraste setzende Regie-
Hand. Die Zunftsorgen der Meistersinger, die Liebessorgen des Ritters Stolzing und des Goldschmiedetöchterleins, die weise versöhnende Vernunft des Schusterpoeten setzen auf Harmonie und Versöhnung in einer damals wie heute so harmlos nicht zu verstehenden Welt.
Großer Vorzug der diesjährigen Premiere: die Qualität des Musikalischen. Prächtiges leisten die Chöre (Einstudierung: Norbert Balatsch). Daniel Barenboim am Pult des Festspielorchesters liefert eine transparente, das instrumentale wie vokale Spiel der Linien genau auffächernde Interpretation, hat aber ebenso Kraft und Differenzierung für Farben und Klang dieser auch heute noch außerordentlichen Partitur
Auf der Bühne präsentiert sich ein neuer Bayreuther Sachs: Robert Holl mit pastosem, wohlklingendem Gesang, nobler Gebärde. Weniger kraftvoll (wie, etwa einst Theo Adam) als verhalten, väterlich weise der Beckmesser Andreas Schmidts. Ein bemerkenswertes Bayreuth-Debüt in dieser Rolle, keine ironische Verzeichnung, sondern der Versuch eines energischen, auch nachdenklichen Mannes, seine Rechte einzuklagen. Sachs ist sein wohlwollender »Gegenspieler«. Darum auch am Ende hier die vom Komponisten nicht beabsichtigte Versöhnung der beiden.
' Peter Seiffert als Walther von Stolzing ist der große Gewinn des Abends. Ein Wagner-Tenor in leuchtendem, prachtvoll aus- und aufschwingendem Belcanto mit schönem heldischen Ton. Eine Entdeckung daneben die Eva der Renee Fleming. Die Bayreuth-Debütantin aus den USA bestach mit leuchtend schönem Soprangesang. Erfreuliches war auch von Birgitta Svenden als jugendlich-spielfroher Amme Magdalene zu hören. Endrik Wottrich von der Berliner Lindenoper agierte genau als Sachsens Lehrbube David. Überzeugend besetzt die Zunft der Meistersinger, vor allem mit dem baritonal kraftvollen Eric HalfVarson als Pogner In diesem Ensemble hatte auch Roman Trekel, ebenfalls aus dem Linden-Ensemble, als Konrad Nachtigall seinen rechten Platz. Sonderapplaus am Ende übrigens für den sonoren, schwarzen Baß von Kwangschul Youn als Nachtwächter Störend wirkte bei den Gesängen des Sachs, manchmal auch des Stolzing sowie etlicher Meistersinger, die für Bayreuth ansonsten nicht übliche Unverständlichkeit der Texte. Das lag keinesfalls am Klang des sehr flexibeln und nie aufdringlichen Orchesters unter Barenboim.
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