Ringer-Verein aus dem Osten will an die Spitze
Was aus der DDR-Ringer-Hochburg Dynamo Luckenwalde wurde / Finale ist Minimalziel des 1. Luckenwalder SC
Nach den Wendewirren wieder auf festem Sockel
Diese Erfolgsära ist zwar längst Geschichte - aber die Ringkampf-Ära hat auch nach dem Untergang der DDR eine Fortsetzung gefunden. Die einstige Hochburg steht nach den Wendewirren wieder auf einem festen Fundament. Das damalige Dynamo-Domizil gibt es heute nicht mehr. Seit 1994 sind die Ringer - inzwischen als 1990 neugegründeter 1. Luckenwalder SC - in ein ganz neues Umfeld gewechselt. Gerungen wird in der neuen Fläminghalle gleich neben der Fläming-Therme.
Dort hat auch Fred Hempel sein Büro. Er ist ein Luckenwalder Dynamo-Urgestein. Der heute 53-Jährige, in seiner aktiven Zeit EM-Dritter (1976) und Olympiasechster (1976), später Nachwuchs- und Auswahltrainer und nach der Wende zehn Jahre lang Stützpunkttrainer, ist seit Oktober 2000 Geschäftsführer der Nelson Sport GmbH. »Wir hatten uns in den zehn Jahren nach dem Aufstieg 1990 in die 1. Bundesliga redlich abgemüht. Wir haben auf den Nachwuchs aus den eigenen Reihen gesetzt, mussten aber unsere sportlichen Grenzen in der Bundesliga erkennen. So holten wir uns Ringer aus anderen Ländern hierher«, schildert er.
Ein Profiteam wuchs heran, das aus dem gemeinnützigen Stammverein ausgegliedert und in die Nelson Sport GmbH eingereiht wurde. Hier haben die ausländischen Ringer inzwischen auch Verträge als freie Mitarbeiter. Hempel ist so etwas wie der Teammanager, der für die Zusammensetzung der Profimannschaft verantwortlich ist.
In Hinrunde die Gegner fast von der Matte gefegt
Die ist mittlerweile zu einem Top-Team aufgestiegen, das in der Bundesliga-Hinrunde der Saison 2004/ 2005 von keiner Mannschaft der Nord-Staffel gestoppt werden konnte. Alle fünf Heimkämpfe in der Fläminghalle wurden gewonnen, alle drei Auswärtskämpfe ebenfalls. Luckenwalde fegte die Gegner mit teilweise deklassierenden Ergebnissen nur so von der Matte. Die rund 400 Fans, die die Heimkämpfe besuchen, sind außer Rand und Band.
2002 waren die Luckenwalder im Play-off-Viertelfinale gescheitert. 2003 wurden sie im Halbfinale gestoppt, und 2004 kamen sie erneut nicht über das Viertelfinale hinaus. Sie hatten das Pech, gleich auf den späteren deutschen Meister VfK Schifferstadt zu treffen.
»In dieser Saison«, sagt Fred Hempel, »wollen wir mehr als je zuvor erreichen. Wir wollen mindestens ins Finale der deutschen Mannschaftsmeisterschaft einziehen. Der Weg dorthin ist noch weit. Viel wird davon abhängen, ob wir in der am 12. November beginnenden Rückrunde vom Verletzungspech verschont bleiben. Ringen ist ein Kampfsport. Da hat man sich schnell eine Verletzung geholt.«
23 Profi-Ringer aus neun Ländern unter Vertrag
Der Teammanager hat im Vorfeld dieser Saison das Feld bereitet. 23 Ringer im freien und klassischen Stil wurden unter Vertrag genommen. Acht davon sind deutsche Ringer, die anderen kommen aus Bulgarien (6), Polen, Tschechien (je 2), Russland, Georgien, Rumänien, Ungarn und der Türkei (je 1). Eine Multikulti-Truppe, von der Hempel sagt: »Alles Leute, die ihr Handwerk professionell verstehen und die viel Teamgeist auszeichnet.«
Verglichen mit der Vorsaison stehen gleich 15 neue Gesichter im Profi-Aufgebot. Etliche Ringer-Stars sind darunter: der zweifache türkische Olympiasieger (1996 und 2000) Hamza Yerlikaya, der zweifache Weltmeister Eldar Kurtanidze (Georgien), der frühere Weltmeister Nicolai Paslar (Bulgarien), der Welt- und Europameister Alexej Gloushkov (Russland) oder die Vizeweltmeister Krassimir Kotchev (Bulgarien) und Marek Svec (Tschechien). »Natürlich hat alles seinen Preis«, sagt Hempel und verweist auf den Saisonetat von rund 400000 Euro.
Das alles ist wiederum nur möglich, weil sich ein Aufsichtsrat unter Vorsitz von Dr. Reinhardt Töpel ins Zeug legt, der auch maßgeblich das Sponsoring betreibt. »Wir haben 2001 völlig neue Strukturen in dem Verein aufgebaut und die Nelson Sport GmbH gegründet«, schildert Töpel, Geschäftsführer der ReiCo Spedition GmbH & Co. KG in Nunsdorf, ein Wirtschaftsunternehmen, das zu den zehn größten Arbeitgebern im Land Brandenburg gehört.
»Der einst mit 1,3 Millionen DM verschuldete Verein musste erst mal mit Hilfe von Sponsoren saniert werden. Heute steht er auf gesunden Füßen. Ringen ist eine Randsportart. Wir müssen kleinere Brötchen backen. Das tun wir und zeigen damit, was im Osten mit Engagement alles möglich.«
Dr. Reinhardt Töpel stellt aber auch klar: »Wir brauchen den sportlichen Erfolg. Es ist unser Ziel, dass der 1. Luckenwalder SC das erste ostdeutsche Team sein soll, das im Ringen deutscher Meister wird. Wir wollen an die Spitze.«
Roland Gehrkes Rückkehr als neuer Cheftrainer
Eine Erfolgsorientierung, die Cheftrainer Roland Gehrke nicht aus der Fassung bringt. »Wir haben eine starke, professionelle Mannschaft. Die muss sich ganz einfach dieser Herausforderung stellen. Alles andere als ein Finalplatz in dieser Saison wäre eine Enttäuschung«, sagt der heute 50-Jährige, der 1971 als damals 17-Jähriger von Neubrandenburg zu Dynamo Luckenwalde delegiert wurde. Hier stieg er 1981 zum Weltmeister auf, wurde zwei Mal Vizeweltmeister (1975, 1979) und Europameister (1976).
Der gelernte Maurer, der eine Zeitlang Nachwuchstrainer bei Dynamo Luckenwalde war, schlug später eine Polizei-Laufbahn ein und wurde nach der Wende Kriminalist. Aber nach endlosen Stasi-Vorwürfen wurde der Vater von zwei erwachsenen Kindern rausgeschmissen. Er jobbte in seinem einstigen Beruf als Mauerer in Kleinunternehmen von Ex-Ringern, die aber Bankrott gingen.
Doch Gehrke, das Stehaufmännchen, kehrte wieder auf die Matten zurück. Als im Frühjahr 2002 ein neuer Cheftrainer in Luckenwalde gesucht wurde, holte Hempel seinen »alten Kumpel« zurück. »Ich war lange unschlüssig, ob ich das mache«, erinnert sich Gehrke. »Aber meine Tochter sagte zu mir: Papa, mach das, was dir Spaß macht. Ringen macht mir Spaß.«
Seitdem steht Roland Gehrke, der 2000 mit 46 Jahren in Freiburg noch einmal Weltmeister im Superschwergewicht bei den »Veteranen« wurde, Tag für Tag auf den vier Ringermatten in den Katakomben der Fläminghalle. Er versteht sein Traineramt überwiegend als Motivierer des Profiteams. »Das Ringen brauche ich denen nicht beizubringen. Aber sie zu Top-Leistungen motivieren, das ist wichtig.«
Die meiste Zeit trainieren die ausländischen Stars sowieso nicht in Luckenwalde. Sie kommen zu den Wettkämpfen angereist und fliegen anschließend wieder nach Hause. »Ich gebe ihnen auch keine Trainingspläne mit«, ergänzt der Coach. »Die wissen selbst, wie sie sich fit zu halten haben.« Manchmal kommen sie wie unlängst die Bulgaren gleich für drei Wochen nach Luckenwalde. Dann trainieren sie hier mit dem Nachwuchs.
Luckenwalder Nachwuchs steht nicht im Abseits
Apropos Nachwuchs: Der steht nicht im Abseits und hat nach wie vor im Dynamo-Nachfolgeverein seine Heimstatt. »Wir haben an die 140 Kinder. Unser Nachwuchs ist recht erfolgreich«, schildert Dr. Helmut Börner, einst Klubchef von Dynamo Luckenwalde, jetzt Geschäftsführer des 1. Luckenwalder SC mit 400 Mitgliedern in den Abteilungen Ringen (Nachwuchs, Frauen, Freizeit-/Kampfsport) und Schwimmen. Vereinspräsident ist Dr. Ulrich Engelmann, zu DDR-Zeiten ein Atomphysiker, jetzt Direktor der Stadtwerke Luckenwalde.
Besonders Stolz sind die Luckenwalder, dass die frühere KJS erhalten geblieben ist. »Wir haben an der Sportbetonten Gesamtschule von der 7. Klasse aufwärts bis zu 15 Ringer-Schüler pro Klassenstufe. Das ist unter heutigen Bedingungen viel«, sagt der 63-jährige Börner.
Wenn nun noch der große Wurf mit dem deutschen Meistertitel gelingt, ist Luckenwaldes Nachwende-Ringerwelt völlig in Ordnung
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