Werbung

Menschenbild, zerbrechlich

Ehrung zum 100. Geburtstag von Helen Ernst in der Inselgalerie Berlin

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Zeit heilt Wunden. Doch Erforschung von Historie reißt mitunter alte Wunden auf. Dann ist die Frage: Gibt es ein gerechtes Urteil? Zumal, wenn es um Leistungen einer Künstlerin geht, die außerordentlich sensibel und von starker menschlicher Anteilnahme war. Unbekannte oder verschwiegene Details zu erhellen und zu bewerten, das erfordert den integren Chronisten. Als ein solcher erweist sich für Helen Ernst (1904-1948) Hans Hübner. Er erkundete ihre Lebensstationen von Athen, Zürich, Berlin, Amsterdam, Ravensbrück, Schwerin. Sein Buch »Helen Ernst. Ein zerbrechliches Menschenkind« erschien 2002 im trafo verlag. Es wies auf die besondere Tragik ihres Schicksals hin: Aus der Hölle des Konzentrationslagers befreit, bleibt sie nicht frei von Verdächtigungen von Mitinsassen. Nach drei Jahren zerbricht ihr Leben unter dieser Last. Die Künstlerin war Jahrzehnte lang fast vergessen. Die Ausstellung in der Berliner Inselgalerie hebt den künstlerischen Rang dieser Lebensbeobachterin und Menschenzeichnerin in die breitere Wahrnehmung. Es sind die Leihgaben aus dem weit verstreuten Nachlass - zum größten Teil von den Nachkommen guter Freunde -, die die Schau ermöglichten. Da sind die munteren Modeblätter der lebensfrohen jungen Frau, die bereits an der Modeschule Reimann unterrichtet. Oder die Linolschnitte über die Künstlerkommune »Fontana Martina«. Das Leben in jener Kommune in Partnerschaft mit Carl Meffert war für Ernsts politisches Engagement fortan prägend. Von ihrer Arbeit als Pressezeichnerin für die KPD wünschte man sich mehr Beispiele zu sehen. 13 dieser Blätter sind im Besitz des Deutschen Historischen Museums Berlin. Sie für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen, scheiterte an bürokratischen Hindernissen. Offenbar übt sich das Museum darin, seine Auffassung von historischer Balance auszuprobieren, indem es seine Bestände politisch korrekt neu ordnet. Da bleibt für die Linke nur die Privatschiene. Stattdessen waren die Leihgaben aus der Sammlung André G. van Oort mit großem persönlichen Entgegenkommen zu erlangen. Dieser hochbetagte Leihgeber will aus dem holländischen Leiden extra zur Finissage anreisen. Helen Ernst war ab 1934 für knappe sechs Jahre in den Niederlanden im Exil. Dort arbeitete sie leidenschaftlich zeichnend. Blätter entstanden wie »Kneipe in Paris«, »Künstlerumkleidezimmer« oder »Porträts meiner farbigen Freunde«. Aus der Sammlung von Simone Robbers aus Leiden stammen scharf satirische Blätter wie »Sedantag« und »Andenken an Montsouris«. Peter Kreuzberg, der Sohn von Helens Freund Claus Kreuzberg, bewahrt in Oderberg so wichtige Zeichendokumente wie »Frauengefängnis« oder »Arbeiterbildnis«, die er zur Verfügung stellte. Und Hans Hübner, bester Kenner des Werks von Helen Ernst, konnte selbst einiges beisteuern, u.a. »Spanische Frauen 1937«. Ein Blatt hervorzuheben, soll nicht heißen, die anderen zu unterschätzen.Dennoch, die kargen Schreckensstenograme aus und zu Ravensbrück aus dem Fundus des Stadtgeschichtsmuseums Schwerin sind hier die Wichtigsten. Karin Henoch saß während einer Lesung ihrer Gedichte unter gerade diesen Blättern. Sie trug ihr Buchenwaldgedicht »Albtraum« vor. Mit der Schlusszeile »Keiner, der die Monster meiner Träume vertrieb« war ein Kreis geschlossen. Der Teufelskreis, der einst diese vitale Frau das Leben kostete. Inselgalerie, Torstraße 207, 10115 Berlin: Helen Ernst 1904-1948. Ehrung zum 100. Geburtstag. Bis 20.11., Di-Sa 13.30-18.30Uhr. Veranstaltungen: Biografischer Vortrag von Hans Hübner; Ina Gaworzewski liest Texte von Helen Ernst (12.11., 19Uhr) sowie »Ihr schlimmstes Jahr - Helen Ernst« Ein dokumentarisches Fragment von Jürgen Gross (20.11., 15Uhr)
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal