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  • Politik
  • Nürnberg 1946: Notizen von Gesprächen mit Robert Kempner

«Ich verhörte Hunderte, die Millionen töteten...»

  • Horst Hoffmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Laufe der Nürnberger Prozesse verhörte ich Hunderte, die Millionen ermordeten. Genau waren es 199 Angeklagte. Das Schlimme ist, daß sie viel zu gut davongekommen sind. Jeder Fünfte ging straffrei aus, und von den mehr als 30 Todesurteilen wurden nur 25 vollstreckt.« Das erzählte mir Prof. Dr. jur. Robert Kempner (1899-1993) kurz vor seinem Tode. Er war stellvertretender Hauptankläger der USA vor dem Internationalen Militärtribunal, das am 1. Oktober 1946 das Urteil über die Hauptkriegsverbrecher des »Tausendjährigen Reiches« fällte.

Als junger Justitiar im Preußischen Innenministerium erlebte Dr. Kempner die Unterminierung der Weimarer Republik von Innen, als Vorstandsmitglied des Republikanischen Richterbundes forderte er 1931, die NSDAP aufzulösen, Hitler wegen Vorbereitung zum Hochverrat anzuklagen und als lästigen Ausländer auszuweisen. Von Göring aus dem Justizdienst gejagt, von der Gestapo verfolgt, emigrierte Dr Kempner in die USA, wo er als Universitätsprofessor lehrte, zum Berater der Regierung berufen wurde und die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt.

»Ich gehörte zur Gruppe des ehrenwerten Richters Robert Jackson, Mitglied des Obersten Gerichts und ehemaliger Generalstaatsanwalt, zog die Uniform der

Army an und fuhr als Staatsanwalt nach Europa. Dort war mein unmittelbarer Vorgesetzter der Hauptankläger General Telford Taylor, ein Historiker Als man mich fragte «Wen nimmst Du?», sagte ich; «Den Frick, der hat mich ausgebürgert. Doch nicht deswegen, sondern weil er >nutzlose Esser< ermorden ließ.» Kempner erinnerte sich an die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Anti-Hitler-Koalition: «Churchill war anfangs gegen Prozesse und forderte die standrechtliche Erschießung der Hauptschuldigen durch Pelotons. Stalin wollte 50 000 als Kriegsverbrecher identifizierte Personen in wenigen Wochen liquidieren. Doch Roosevelt setzte das Internationale Militärtribunal durch, dessen Urteil von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 12. Dezember 1946 bestätigt wurde.»

Schon während des Prozesses wurden die Nürnberger Ankläger und Richter in den USA von den Geschäftsfreunden der IG-Farben-, Krupp- und Flick-Chefs als «Provinzadvokaten» und «Kommunistenfreunde» diffamiert. Über das, was sich in den zweieinhalb Jahren zwischen den Urteilen über die Hauptkriegsverbrecher und denen über die Diplomaten des Auswärtigen Amtes im «Wilhelmstraßenprozeß», in dem Dr Kempner Haupankläger war, ereignet hatte, berichtete er- «Das Denken veränderte sich, der Mut zur Bestrafung sank, die Urteile wurden milder Nach der Gründung der Bundesrepublik und dem Beginn der Wiederaufrüstung, gegen die General Taylor leidenschaftlich protestierte, setzte eine regelrechte Begnadigungsarie ein. Die Industriellen forderten die Freilassung der gefangenen Konzernchefs als Voraussetzung für den Wiederaufbau; die Militär wiederum erklärten: Es könne keine deutsche Armee aufgestellt werden, solange ein General in Landsberg oder Werl einsitzt.»

Am 9 Januar 1951 machte sich aus Bonn eine Delegation von Bundestagsabgeordneten der CDU und SPD auf den Weg zum amerikanischen Hochkommissar John McCloy in Frankfurt und bat um Begnadigung der zum Tode und hohen Haftstrafen Verurteilten. 1955 kam es zum Überleitungsvertrag und zur Gnadenkommission, die allmählich die Kriegsverbrecher freiließ. Als der zu 15 Jahren verurteilte Konstantin von Neurath, Reichsaußenminister vor Ribbentrop, schon 1954 aus Spandau freikam, begrüßte ihn Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) in der «württembergischen Heimat».

«Ich kenne kaum jemanden in Deutschland, der sich dafür stark machte, daß diese Verbrecher ihre gerechte Strafe absitzen», resignierte der greise Rechtsgelehrte, für den der «Prozeß des Jahrhunderts» zeitlebens eine «einzigartige ii'rstische und historische Forschungssulue r md eine »Festung des Glaubens an das ilkerrecht« blieb. Über eine Begegnung i . ; t Adenauer erzählte mir Professor Kemp ier, daß der Bundeskanzler beim Abschied zwischen Tür und Angel zu ihm sagte »Ach wissen Sie, ich bin ganz froh da. 1 - die Amerikaner uns das in Nürnberg abgenommen haben . Theni?- Jeite zutu Nürnberger Urteil in unserer Montags-/i.-9aabe r «a 30. September

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