Die juristische Vorgeschichte
Präzise Völkerrechtsnormen, die Vorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen als internationales Verbrechen verurteilen und die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen fordern, waren in der Charta der Vereinten Nationen, im am 8. August 1945 beschlossenen Londoner Abkommen über die Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achsenmächte und im hiermit verbundenen Statut für den Internationalen JÄjlitärge^ richtshof (Charta of the International Military Tribunal - IMT) fixiert worden. Vor allem Art. 6 des IMT-Statuts bildete die entscheidende Grundlage für die Anklage und Verurteilung der Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg. Darauf bezugnehmend warfen die vier Hauptankläger aus Frankreich, Großbritannien, der Sowjetunion und den USA in ihren Eröffnungsplädoyers den Angeklagten vier Verbrechenstatbestände vor: gemeinsamer Plan, Verschwörung und Verbrechen gegen den Frieden (Art. 6a), Kriegsverbrechen (Art. 6b), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 6c).
Jede der vier Siegermächte stellte einen Richter bzw. Ankläger und jeweils einen Stellvertreter. Obwohl es sich offiziell um ein Militärgericht handelte, kam kein Richter bzw. Ankläger beruflich aus ( dem Militärbereich. Es waren hochangesehene Juristen von Obersten Gerichten, Rechtsgelehrte und anerkannte Anwälte, die von Völkerrechtsexperten ihrer Länder durch Gutachten und Beratung unterstützt wurden.
Da die Angeklagten und ihre Verteidiger begangene Kriegsverbrechen nicht schlechthin leugnen konnten, verlegten sie sich darauf, Verbrechenstatbestände nach Art. 6a des IMT-Statuts zu bestreiten. Nach ihrer Auffassung unterscheide das gültige Völkerrecht nicht zwischen gerechtem und ungerechtem Krieg, folglich sei der Tatbestand des »Verbrechens gegen den Frieden«, jedenfalls bis 1945, nicht gegeben. Im Namen der Gesamtverteidigung zog der Rechtsgelehrte Prof. Jahrreis die beiden ersten Anklagepunkte gänzlich in Zweifel, da sie mit dem geltenden Völkerrecht nicht zu begründen seien. Vielmehr handele es sich um ein nach der Tat geschaffenes Strafgesetz, das nicht rückwirkend auf die Angeklagten angewandt werden könne, weil das gegen den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz des »nulla poena sine lege« (keine Strafe ohne Gesetz) verstoße. Außerdem laufe eine Bestrafung »ex post facto« dem Recht aller zivilisierten Nationen zuwider Schließlich beharrte Jahrreis darauf, daß die Angeklagten für ihr hoheitliches Handeln den Souveränitätsschutz genießen und die Führerbefehle für sie rechtsverbindlichen Charakter hatten, selbst wenn diese dem geltenden Völkerrecht zuwiderliefen. Somit hätten die Mandanten der Verteidigung zur Tatzeit nicht damit rechnen können oder müssen, für ihr Handeln international strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Von den Angeklagten und der Verteidigung wurden Zuständigkeit und Kompetenz des IMT bestritten.
Was nun war dran an den Einwänden der Verteidigung?
Sie ignorierten einiges. Die Straftatbestände des IMT-Statuts haben sowohl eine politische als auch Vertrags- und gewohnheitsrechtliche Vorgeschichte. Schon die Haager Friedenskonferenzen (1899/1907) kodifizierten das Kriegsrecht, vor allem dann die Haager Landkriegsordnung (HLKO) von 1907 Auch war schon vor dem Ersten Weltkrieg ein »Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle« vereinbart worden, das helfen sollte, gewaltsame Konflikte zu vermeiden; es verbot jedoch den Krieg als solchen rechtlich noch nicht. Dazu kam es erst im Ergebnis des Ersten Weltkrieges. Die mit dem Versailler Friedensvertrag von 1919 verbundene Völkerbundsatzung führte dann mit den
deutsche große Generalstab und alle ähnlichen Formationen werden aufgelöst und dürfen unter keiner Gestalt neu gebildet werden.« Außerdem sollten 854 Offizier.e und hohe Beamte, die namentlich benannt wurden, von Deutschland ausgeliefert werden, um von den Siegermächten verurteilt zu werden. Hierzu kam es allerdings nicht.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges nun stand die internationale Staatengemeinschaft vor der gebieterischen Notwendigkeit, entschiedener als nach dem Ersten Weltkrieg die Verantwortlichen für Aggressions- und Annexionsverbrechen, für Völker- und Kriegsverbrechen zu verurteilen. Die hierfür erforderlichen Maßnahmen wurden noch während des Krieges, bereits 1942, eingeleitet und fanden in der UNO-Charta und dem IMT-Statut
die vertragliche Rechtsgrundlage. Basierend auf den bisherigen völkerrechtlichen Normen (HLKO, Kriegsverbot) wurden mit dem IMT-Statut auch neue Rechtsprinzipien eingeführt - zur Ahndung von Verbrechen gegen den Frieden und Völkermord (Genozid). Nur auf diese Weise war völkerrechtlich eine adäquate Reaktion auf die ungeheuren Verbrechen des Dritten Reiches angemessen möglich. Sie verletzte keineswegs den Grundsatz »nulla poena sine lege«, wie die Verteidigung in Nürnberg suggerierte.
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