- Politik
- Heidrun Hegewald zum 60. Geburtstag
Kassandras Rufe - auf dem Markte verstummt?
Die Mutter mit dem Kinde, 1984/85
Foto: ND-Archiv
Sie habe ihre Zeit, ihr Leben gehabt, sagt sie, und sie denke nicht daran, dem Gelebten nachzuklagen. Allerdings gehört sie zu jenen, denen der Umsturz der Verhältnisse das Aus für die künstlerische Arbeit in kältester Konsequenz diktiert hat: Verlust der Arbeitsräume, Auslagerung des Geschaffenen, kräftezehrende Brotarbeit und das Verschwinden dessen, auf das die Kunstarbeit nicht zuletzt bezogen war: ein offenes Publikum. Es war so offen für Fragen und Antworten in Kunstwerken, weil ihm die damaligen Medienzare das Fragen austrieben und die Antworten schuldig blieben.
Der persönliche Verlust führt zu einem für die Gesellschaft. Was die untergegangene von den Künsten bekam - und von den Bildern der Heidrun Hegewald in spezifischer Weise - um sich selbst vielleicht doch noch zu begreifen und zu retten, täte der schönen neuen Welt wohl noch bitter not. Kassandras Rufe aber, denen nicht geglaubt wurde, werden nun im Kreischen des Marktes erst gar nicht mehr vernommen.
Hegewalds Werk ist also in mehrfachem Sinne Geschichte. Das allerdings kann sehr viel sagen, es muß ja nicht gleich die Kunstgeschichte sein. Die Zeichnungen und Gemälde dieser Frau enthielten für einige Kunstkritiker eine zu starke persönliche Empfindlichkeit, zu viel moralisch forderndes Bekenntnis, zu wenig mit der Form geschaffenen Abstand zum Gegenstand ihrer Botschaften. Das verschärfte sich mit dem langen Abschied aus der Gesellschaft und ihren verluderten Idealen, den eine nachwach-
sende Künstlerschaft aus dem Gefühl ihrer politischen Ohnmacht vollzog.
Heidrun Hegewald hat auf Ohnmacht und Idealverlust, auf Aufkündigung von Mitwirkung und wachsende Widersprüche mit Bildgestalten und Figurenkompositionen von mythologischer, symbolischer Überhöhung, von heftiger, manchmal bitterer Emotionalität und geradezu entblößter Psyche reagiert, wie es eine Dichterin so ausdrückte: »Die Bürger ah-
nen nicht, daß wir ihnen unser Herz servieren.« Sehr DDR-typisch für die Rolle bildender Kunst und das gesellschaftliche Klima war das Erfolgsbild »Kind mit Eltern«, eine jener schnell populär gewordenen, den öffentlichen Diskurs belebenden bildhaften Formulierungen für Ungelöstes unter der glattgebügelten Oberfläche. Heidrun Hegewald blieb einerseits bis heute in diesem Themenkreis, hat aber in den 70er, 80er Jahren eine Fülle
kritischer Kommentare zum Verhältnis von Macht und Individuum gezeichnet, immer abgeleitet aus der Verantwortung und dem Verhalten des einzelnen. »Befehl und Anatomie«, »Gehorsam«, »Bitte um Gehör«, »Irritierte Schutzengel«, »Öffentliche Meinung«, »Ein Anonymer bricht aus« und »Vier ständige Beobachter« lassen sich als zornige Verweise auf das zur Makulatur verkommene Parteistatut und die unter der Indolenz der Genossen verschütteten schönen Ziele lesen.
Dann entstanden aus dem sich in verschärfender weltpolitischer Zuspitzung verschärfenden Pazifismus der Malerin, gewissermaßen in erhöhter Alarmstufe, Bilder von aggressiver, ungemütlicher Inhaltlichkeit, wie »Die Tanzmeister - ein Bild über falsche Töne«, für's Leipziger Gewandhaus bestimmt und von dessen Hausherrn zurückgewiesen, oder »Kassandra sieht ein Schlangenei«, »Pieta«, »Und immer wieder Pontius P «.
Auch »Mutterverdienstkreuz in Holz« von 1979 ist ein so unerträglich bedrängendes, schockierend scharf gemaltes Bild geworden, aus Bitterkeit und aktivem Zorn über eine Welt, die noch immer die Mütter ihre Kinder dem Hungertode und dem Massenmord in den Rachen gebären läßt. Diesem Bilde folgen viele, die den Müttern und Kindern, der Angst und der Hoffnung, den menschlichen Bedrückungen und Verstrickungen gewidmet sind. Ans größere, mächtige und selbstgewisse Deutschland angeschlossen, schlagen die diesbezüglichen Stoffe der Künstlerin dann über dem Kopf zusammen.
In den farbigen Kreidezeichnungen zum »Frauen-Report 90« und zum Prokrustes-Motiv verlieren die Figuren an Glätte, Festigkeit und Beleuchtungseffekten. Die Farben erscheinen noch mehr in kalte Grau- und Erdtöne gebrochen. Die Zeichnung wird ausfahrend expressiv, sie erinnert damit und mit ihrem gespenstischen Zug in den Szenen an Alfred Kubin.
Heidrun Hegewald hat sich vor dem Unsagbaren in den Bedrohungen des Menschen nicht gefürchtet und es im Bilde zu bannen gesucht. Davon ist die Welt voller denn je, und das ist in und mittels der Kunst scheinbar wirklich nicht mehr zu bannen. Dennoch, so meine ich, wird diese Frau zu ihren Versuchen zurückkehren.
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