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- Elfriede Jelinek ist mit 50 so provokant wie je
»Oh, Wildnis, oh Schutz vor ihr«
So unbestreitbar es ist, daß ein halbes Jahrhundert als ein Zeitmaß gelten kann, da.s auch in einem Schriftsteller(innen)-Leben einer Zäsur gleichkommt, im Falle von Elfriede Jelinek, deren Schaffen von solchen Daten weitgehend unabhängig sein dürfte, verbietet es sich ganz und gar, auf ein versöhnliches Werk nach der »Hälfte des Lebens« zu hoffen. Die Grundentscheidungen ihres Schreibens sind lange Jahre zuvor gefallen. Es steht zu erwarten, daß ihre Weltsicht kritisch-desillusioniert, ihre Problemdarstellungen monströs-erschreckend und ihre Art des Schreibens so unangepaßt-experimentell bleiben werden wie in einigen ihrer inzwischen in hohen Auflagen gedruckten Romane und ihrem jüngsten Theaterstück »Raststätte«, das im Burgtheater in Wien von Claus Peymann uraufgeführt wurde.
Elfriede Jelinek, am 20. Oktober 1946 im Steiermärkischen geboren, heute jedoch in Wien und München lebend, begann zunächst traditionell in dem Sinne, daß sie 1967 in einem kleinen Verlag mit Gedichten an die Öffentlichkeit trat, ehe sie dann mit den beginnenden siebziger Jahren in steter Folge Romane vorlegte:
»wir sind lockvögel baby!« (1970), »Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft« (1972) und »Die Liebhaberinnen« (1975, 1978 in der DDR). So wie diese Bücher durchweg in einem deutschen Verlag gedruckt wurden, schrieb sie auch ihre noch zahlreicheren Hörspiele in diesem Jahrzehnt für deutsche Rundfunksender
In den achtziger Jahren dann kam wiederum auf deutschen Bühnen - die Theaterautorin mehr und mehr zum Zug, deren Stücke im Titel durch Frauennamen oder allein schon das Wort Frau ein Zentrum ihres Schreibens offenlegen: »Krankheit oder Moderne Frauen«, wie eines dieser Stücke hieß'. In thematischer Korrespondenz dazu steht ihr 1983 veröffentlichter Roman »Die Klavierspielerin«, in dem eine autobiographisch geprägte Mutter-Tochter-Beziehung meisterlich dargestellt wird. Damit war das Höhenplateau erreicht, von dem aus neue Wagnisse kritischer Wirklichkeitsdarstellung unternommen werden konnten, für die der Prosaband »Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr« und vor allem der umstrittene Roman »Lust« (1989) sowie die Dramen »Totenauberg« und »Raststätte oder Sie machens alle« stehen. Die Publikationen waren begleitet von diskriminierenden Reaktionen in der österrei-
chischen Öffentlichkeit, wo Frau Jelinek von einer sich »freiheitlich« nennenden Partei zur Persona non grata erklärt wurde.
»Ich kann nur aus negativen Emotionen heraus kreativ sein«, erklärte die
Schriftstellerin einmal in einem Gespräch. Obwohl sie ihren Themen und ihrer Schreibweise nach eine unbequeme und der bürgerlichen Gesellschaft radikal kritische gegenüberstehende Schriftstellerin ist, posiert sie jedoch selbst gern als Medienfigur - eine Tatsache, die nicht von ungefähr von kritischen Frauen mit Argwohn und Bedenken vermerkt wird. Daß Elfriede Jelinek mit ihrem literarischen Werk nicht nur (wie vielleicht auf den Fotos) irritieren, sondern herausfordernd provokant sein will, dürfte dagegen kaum zu bestreiten sein. Darin ist sie wirklich ganz sie selbst: Wie sie die Lebensproblematik von Frauen (oft Künstlerinnen) in der heutigen Gesellschaft bis an die Grenze der Obszönität bloßstellt, Herrschaftsverhältnisse, vor allem von Männern über Frauen ausgeübt, ohne Schonung vorführt, falsches Denken und Stereotypen der »Bewußtseinsindustrie« (Enzensberger) durch sprachkritisches Hinterfragen in gut österreichischer Tradition demontiert, all das verrät sowohl ihr gesellschaftskritisches Engagement als auch einen für eine weibliche Schreibweise überaus kalten Blick. Trivialitäten einer von (Waren)-Angeboten be-
herrschten Konsumgesellschaft werden sprachlich nachgebildet und entzaubert, Zitate aus dem Bereich der Hochkultur sind sinnaufhellend entstellt, von Wortfindungen für gewisse Körperteile (im Roman »Lust«) ganz zu schweigen.
Zwar erinnert alpenländische Landschaft (in jüngster Zeit wird auch der Tourismus und der Sport als naturzerstörend ins Bild gesetzt) des öfteren daran, daß hier eine gebürtige Österreicherin schreibt, die Räume und Zeiten der meisten Werke dieser Autorin sind jedoch grenzenlos, und es macht der Verfasserin keine Mühe, Ibsens Nora in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts herüberzuholen, wie sie Clara und Robert Schumann in den oberitalienischen Vittoriale Gabriele d' Annunzios versetzt.
Als opus magnum kann der 1995 auch diesmal bei Rowohlt erschienene Roman »Die Kinder der Toten« gelten. Elfriede Jelinek hat den denkbar kleinsten und abgelegensten Schauplatz (er liegt in der Steiermark) in der Absicht gewählt, ein um so größeres Menschen- und Totenreich umkreisendes Panorama entwerfen zu können. Sie läßt ihre Figuren ausleben, was in einzelnen früheren Texten schon bis an eine Grenze getrieben wurde, die in diesem Roman thematisch und gestalterisch überschritten wird. Es ist eine Welt, in der Lebende tot sind und Tote wieder lebendig werden. Österreichische Vergangenheit und Gegenwart vermischt sich zu einem Pandämonium, das - wie meist bei dieser Autorin - in gleichem Maße fasziniert und abstößt: Jelinek gleichsam im Quadrat!
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