mm Ein Franke hielt Hof in Agra
Der Abenteurer Walter Reinhardt wird von Nordindiens Christen als Mäzen verehrt Von Jochen Reinert
Akbar's Church, die um 1600 errichtete »Wiege der Christenheit in Nordindien« ND-Foto: Reinert
Hoch über dem Gewimmel der Vier-Millionen-Stadt Agra thront eine der größten Festungen der Welt, wegen ihres Baumaterials - roter Sandstein - »Red Fort« geheißen. Geschützt von riesigen Mauern und Gräben, haben hier mehrere Mogulkaiser in märchenhafter Umgebung residiert, die weitgehend erhalten ist und die Anlage lange vor der Wartburg auf die Welterbeliste der UNESCO gebracht hat.
In Diwan-i-Kas, der marmornen Audienzhalle des Jahangir-Palastes, an deren Doppelsäulen zarte Blumenmuster glänzen, haben einst Akbar, Jahan und Aurangzeb einheimische Potentaten und fremde Gesandte empfangen. Vom dahinterliegenden Khas Mahal mit seinen wunderbar durchbrochenen Marmorwänden bietet sich ein prächtiger Blick auf das weltberühmte Taj Mahal, das Shah Jahan für seine Lieblingsfrau Mumtaz errichten ließ.
Diesen Blick mag gelegentlich auch Walter Balthasar Reinhardt genossen haben, der in Agras Rotem Fort im 18. Jahrhundert mehrere Jahre lang Hof hielt wie ein Vizekönig. Doch er konnte seiner Lieblingsfrau Farzana, einer Tänzerin, kein Grabmal bauen
»Reinhardt - Sie meinen wohl Sumru, Nawab Sumru«, nimmt der kundige Mr. Rawat vom örtlichen Informationsamt meine Frage nach dem deutschen Abenteurer auf. »Sumru« sei eine Verballhornung von »Sombre«, und so habe man Reinhardt damals in Indien wegen seines dunklen Teints und des finsteren Wesens genannt.
Der aus dem Rheinfränkischen Stammende hatte sich als junger Mann 1754 von den Franzosen anwerben lassen, die in jenen Jahren mit den Briten um die Vorherrschaft auf dem Subkontinent rangen. Doch der Franke wollte nach einigen Söldnerjahren auf beiden Seiten lieber auf eigene Rechnung Krieg spielen. An der Spitze einer Streitmacht von mehreren tausend Mann verdingte er sich beim Nawab von Bengalen und mehreren Maharajas, um schließlich dem in Delhi residierenden schwachen Kaiser Allum II. beizustehen. Dies freilich nicht ganz uneigennützig: Allum ernannte ihn zum Nawab und vermachte ihm nahezu das ganze Zweistromland (Doab) zwischen Yamuna und Ganges. Dort, in dem Städtchen Sardhana, baute sich Nawab Sumru ab 1773 eine standesgemäße Fürstenresidenz. Gleichzeitig blieb er der große Kommandeur von Agras Rotem Fort.
In der Festung selbst, weiß Mr. Rawat, gibt es keine Spuren, die an Reinhardt-
Sumru erinnern, wohl aber in der nahegelegenen Akbar's Church, und auch sein Grab soll erhalten sein.
Wenige Minuten später sind wir auf dem Wege zu jener legendären Kirche, deren Bau der Mogulkaiser Akbar, einer der mächtigsten und zugleich tolerantesten aller moslemischen Herrscher Indiens, um 1600 nicht nur guthieß, sondern teilweise auch finanzierte. Die Kirche weiß sich in ihrer schlichten Eleganz zwischen dem später errichteten barokken Dom und der Residenz des Erzbischofs von Agra sehr wohl zu behaupten. Father Thomas, ein dunkler Südinder mit wallendem weißen Krausbart lädt uns zu einem Rundgang. In dem in frischem hellen Gelb und Weiß strahlenden Bau weist er auf eine Inschrift in einem der Rund-
bögen: »Sumptibus D. Walten Reinhardt cura R. P. F. X. W « (Mit Zuwendungen von Herrn Walter Reinhardt errichtet ... ). Akbar's Church, erläutert der Priester, war nach Plünderungen Agras durch afghanische Truppen in einem erbärmlichen Zustand, und der deutsche Katholik ließ einiges von seinem neugewonnenen Reichtum für den Wiederaufbau ab, wofür ihm alle Christen Agras bis heute dankbar seien.
Sehr viele Christen aber gibt es nicht an den Ufern der Yamuna, teilt Father Thomas bekümmmert mit, Katholiken nur rund 4000, und da hat auf die Dauer auch nicht geholfen, daß Reinhardt-Sumrus junge Witwe - die Begum führte Streitmacht und Fürstentum nicht weniger als 55 Jahre - zum Katholizismus
übertrat und in Sardhana einen prächtigen Dom erbauen ließ. Überhaupt: die meisten der 20 bis 30 Millionen indischen Christen leben im Süden und Osten des Landes, im Unionsstaat Nagaland stellen sie sogar die Bevölkerungsmehrheit. Drei Viertel von ihnen sind Dalits (Kastenlose) oder Adivasi (Stammesbewohner), die sich unter dem Kreuz weniger soziale Demütigung versprachen.
Father Thomas weiß manches über den braven Katholiken Reinhardt-Sumru, aber dessen Grab hat er nie gesehen. Auch seine Beschreibung des alten katholischen Friedhofs von Agra fällt sehr vage aus, und erst nach einer langen Fahrt durch das unendliche Gewirr der heißen, dunstigen Millionenstadt finden wir die richtige Pforte. Im Innern des knapp fußballfeldgroßen Areals setzt sich der Zusammenstoß zweier Kulturen fort: prächtig ausgeführte, aber von Wind und Wetter angegriffene moslemische Grabmausoleen stehen zumeist schlichten Kreuzen gegenüber. Aber auch die aus vielen Winkeln auftauchenden Bewohner des Friedhofs können uns bei der Suche nach Sumrus Grab nicht helfen. Dann endlich, als wir es schon beinahe aufgegeben hätten, schaun wir in einen etwas abgelegenen achteckigen islamischen Grabtempel. Und siehe da, der über und über mit Sand und Taubenkot bedeckte reich verzierte marmorne Sarkophag im Innern gibt die portugiesischen Buchstaben frei: »Aquiiaz Walter Rainhard. Morreo aos 4 de Mayo no Anno de 1778.« (Hier liegt begraben Walter Rainhard. Gestorben am 4. Mai 1778.)
Nawab Sumru konnte, wiewohl es ihm an Kleingeld nicht mangelte, seiner Begum kein Taj Mahal bauen. Aber das hat sie sich mit einem pompösen Grabmonument in jenem prächtigen Dom zu Sardhana selbst besorgt.
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