- Politik
- Wie der rote Bürgermeister von Neuruppin und (s)ein Pfarrer auf den Spuren Fontanes wandeln
»Ich dien«
Bürgermeister Otto Theel (56) und Pfarrer Joachim Cierpka (35), sein neuer Referent, präsentieren der Presse
Fontane 'SS
ND-Fotos: Claus Dümde
Da kommen sie wirklich Seite an Seite, Otto Theel, schon knapp drei Jahre Stadtoberhaupt von Neuruppin, und Joachim Cierpka, seit 1992 Seelsorger in St. Trinitatis. »Ein >Don Camillo< dient dem roten Rathaus-Herrn«, hatte die »Märkische Allgemeine« vermeldet. Weil der Pfarrer sein geistliches Amt mit einem weltlichen tauscht. Die Stadtverordneten haben ihn zum »Referenten 2006« gewählt (mehr dazu später). Dem Bürgermeister direkt unterstellt. Und der ist Mitglied der PDS.
Na gut, aber mit Don Camillo und Pepone haben die beiden keinerlei Ähnlichkeit. Obwohl - Cierpka hat ein schwarzes Buch im Arm, wie auf dem Weg zur Predigt. Und Theel grinst ihn verschwörerisch an, wie sie da am Ufer des Ruppiner Sees langlaufen. Der Schnee auf der riesigen Eisfläche glitzert in der Mittagssonne. Sie läßt den Himmel blau und die Klinker der einstigen Dominikanerkirche leuchtend rot strahlen.
Wetter wie bestellt. Der Bürgermeister hat die Presse geladen. Auf ein Salonschiff, das am Bollwerk vertäut ist. Alexander Gentz steht am Heck. - Gentz? Mit tz, da kann's nicht »der Befreier Neuruppins« sein oder der erste sowjetische Stadtkommandant. Der Schiffsprospekt klärt auf: Ein hier geborener Weltenbummler, vierter Sohn einer Kaufmannsfamilie: »Als Stadtrat von Neuruppin setzte sich der 33jährige mit Engagement, und Kraft für die Belange der Stadt ein.« - Na klar, Fontane schrieb über ihn, in den »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«.
Der 100. Todestag ihres Autors ist an jenem Freitag das Thema. Fürs Fontane-Jahr 1998 hat sich die Kreisstadt von Ostprignitz-Ruppin viel vorgenommen. Denn er wurde ja hier geboren. Und kam später, in Berlin zu Hause, immer wieder her, zu Besuch bei der Mutter und als Journalist auf seien Wanderungen durch die Mark. Neuruppin, sagt Otto Theel, möchte für das Jubiläum die Kulisse bilden. »Fontane ist wieder zu Hause«, fügt er mit leiser Stimme hinzu.
Der Pfarrer, er sitzt zur Linken des Bürgermeisters, lächelt. Und nickt ab und zu kaum merklich. Ihn freut offenbar, was der Bürgermeister sagt, und wie: »Wir wollen Fontane ehren und Neuruppin vorzeigen, wie es sich entwickelt hat und entwickeln wird.«
Spricht so ein »roter Rathaus-Herr«? Mit taubenblauem Blazer und - von westlichen Journalisten immer wieder registriert - Seidenkrawatte überm weißen Hemd wirkt er eher gutbürgerlich. Zumal in diesem Ambiente: Feiner Damast auf der Tafel im Salon des Luxusschiffs, vor Theels Platz eine Kerze, altrosa.
Und »Herr«? Theel kam Ende 1993 per Stichwahl ins Amt. Als Person. Die PDS hat nur sieben von 33 Mandaten im Stadtrat, die SPD als stärkste Fraktion neun. Und wie regiert er, mit wem? »Es gibt keine feststehende Koalition, sondern an Themen festgemachte Entscheidungen. Und die gehen manchmal sogar quer durch die Fraktionen.« Nervt ihn das? »Eigentlich ist es erfrischend.« Bei einer klaren Mehrheit würden vielleicht sogar gut gemeinte Ratschläge nicht mehr wahrgenommen, sagt er. »Ich glaub', das ist schon ganz gut, wie das bei uns läuft.«
Und wie sieht der Noch-Pfarrer dieses Regieren ohne Koalieren? Der Nachteil sei, daß man nicht von vornherein mit Mehrheiten rechnen könne, sondern wirklich Menschen überzeugen müsse. »Auf der anderen Seite kommt es so im Regelfalle wirklich zu einem besseren Arbeitsergebnis, zu einem Kompromiß, der wirklich gangbar ist.« Im Westen habe man ein System, bei dem man fest damit rechnen kann, daß die Partei B nein sagt, wenn die Partei A ja sagt. »Das haben wir hier nicht.«
Ein »Neuruppiner Modell«, auch anderswo denkbar? Im Landkreis ja, meint Theel. Mit der PDS sei das derzeit ohnehin nur so machbar. »Es wird schwierig, wenn's weiter nach oben geht. Im Land wird dann viel Polemik und viel Hickhack gemacht,« Da ginge es oft nicht mehr um die jeweilige Sachfrage, sondern um parteipolitische Profilierung. »Das erleben wir bei uns manchmal auch. Aber das ist ganz selten geworden.«
Wohl auch wegen Pfarrer Cierpka. 1992 war er aus (West-)Berlin in die 33 OOO-Seelen-Stadt gekommen, »um meinen Beitrag beim Aufbau der Kirche zu leisten«. Wenige Monate nach Theels Amtsantritt traf ich ihn 1994 im Büro des Bürgermeisters. Da ging's mehr um das Gebäude von St. Marien, 1806 geweiht als Wahrzeichen der »preußischsten aller preußischen Städte«, die nach dem großen Brand von 1787 laut allerhöchster Order neu errichtet wurde. Die Pfarrkirche, in atheistischer Zeit viel zu groß geworden, war schon jahrelang baupolizeilich gesperrt. Theel und Cierpka sprachen damals darüber, ob sie nicht als Ort für Konzerte und andere Veranstaltungen saniert werden könnte, als Teil des »Tourismus-Forums«, einer GmbH von Stadt und Kirche.
Seinerzeit machte Theel als »roter« Bürgermeister Schlagzeilen, bis nach Bayern. Doch Cierpka hatte keine Berührungsängste. Weil sie beide Neu-Neuruppiner waren? Und sich sympathisch
fanden. Vielleicht aber auch, weil Alt-Neuruppiner erzählen, daß Theel, Stahlwerksingenieur von Beruf, den »die Partei« 1986 von Brandenburg hierher »delegiert« hatte, um Wirtschaftssekretär der SED-Kreisleitung zu werden, auch die »Wende« mit Anstand überstanden habe - erst am »Runden Tisch«, dann als nicht erfolgloser Unternehmer.
Nun stehen sie gemeinsam der Presse Rede und Antwort. Außer Lokalreportern sind auch eine Frau vom NDR und ein Kollege gekommen, der ein großes silbernes Kreuz überm schwarzen Ornat trägt. Wegen Fontane? Oder doch eher wegen Don Camillo und Pepone?
Neuruppin liegt rund 60 Kilometer nordwestlich von Berlin, nicht irgendwo südöstlich von Rom. Obwohl - irgendeine Verbindung muß es da geben. Im »Stadtinfo« zum Thema Planungen am See heißt's jedenfalls, daß es gelang, »den italienischen Architekten Aldo Rossi zur planerischen Unterstützung zu gewinnen«. Er habe eine »Kulturachse« von der Pfarrkirche am Predigerwitwenhaus vorbei zum See konzipiert.
Als Theel und andere Offizielle, von der Fontane-Gesellschaft, dem Tourismus-Verband, dem Fontane-Büro der Stadt, dem Wirtschaftsministerium in Potsdam, und der BauGrund AG, auch
dazu sprechen, schlägt der Pfarrer sein schwarzes Brevier auf. Ein Terminplaner ... Notizen macht er sich kaum. Als er selbst das Wort erhält, braucht er kein Papier Er geht zu einer Karte mit der Inschrift Fontane '98 und ist ganz in seinem - neuen - Metier. Von 1 bis 70 numerierte Kreise bezeichnen Bauvorhaben, große und kleine. Die Sanierung von St. Marien gehört dazu, die Restaurierung jenes Fachwerkhauses am Neuen Markt, in dem früher wirklich die Witwen der Prediger Obdach fanden. Der Niemöllerplatz um die Klosterkirche ist bereits fertig, im Frühjahr soll das Bollwerk umgestaltet, später in Ufernähe ein Kongreßund Seminarzentrum sowie, privat finanziert, ein 200-Betten-Hotel entstehen. .
Viel Arbeit auch für Joachim Cierpka. Denn ab 1. Februar wird er als »Referent 2006« die Stadtentwicklung koordinieren. Die Jahreszahl peilt zwei wichtige Daten in der Geschichte (Neu-)Ruppins an: die Erteilung der Stadtrechte im Jahre 1256 und 1806, als nach dem »großen Brand« das zerstörte Zentrum großzügig im neoklassizistischen Stil völlig neu aufgebaut war. Bis zum Frühjahr 1998 soll schon allerhand geschafft sein.
»Fontane ist nicht nur ein Sohn, sondern ein Motor dieser Stadt«, sagt Joachim Cierpka mit kräftiger,Stimme. »Und diesen Motor anzuwerfen, in allen Berei-
chen, kulturell, wirtschaftlich, städtebaulich, touristisch und auf welchen Feldern sonst noch, darum geht es.« Das unterstreicht er mit ausladender Geste, als dirigiere er den Chor. Eine »konzertierte Aktion« aller Projekte sei nötig, von der Parkbank, die gestrichen wird, bis zum Kongreßzentrum. »Die Identifikation der Bürger ist das erste und wichtigste Ziel bei Fontane '98, und da sind wir auch schon mit den ersten Erfolgen -jetzt hätte ich fast gesegnet gesagt, aber das darf ich ja jetzt nicht mehr...« Sein korrigierendes »belohnt worden« geht fast in schallendem Gelächter unter.
Warum übernimmt der Pfarrer diesen Job? Will er Politiker werden? »Ausschlaggebender Grund«, kommt ohne Zögern, »ist meine ganze, auch theologische Überzeugung, daß wir die Bilder vom Gottesreich oder der Gottesstadt, von der Zukunft nicht als Vertröstung haben, sondern als Ansporn, hier das, was Menschen - auch im Hinblick auf ihren Gott - erhoffen und erträumen, zumindest ansatzweise, soweit das möglich ist, zu verwirklichen.« Seine Art sei es nicht, die Hände in den Schoß zu legen und nur auf Gott zu vertrauen. Auch innerhalb der Kirche werde die gute Botschaft nur glaubhaft, wenn sie im Alltag spürbar wird.
Wie überall in den neuen Ländern mangele es in Neuruppin nicht an Ideen, aber an der Umsetzung, meint Cierpka. Und an Geld. Neuruppin hat Schulden. Rund 20 Millionen Mark. Zuviel, um Kredite aufnehmen zu dürfen. Deshalb will der Bürgermeister jetzt sein Rathaus und zwei Schulen verkaufen. Per »Leasing« kann sie die Stadt weiter nutzen und - je nach Finanzlage - in zehn, 20 oder 30 Jahren zurückerwerben. Das »rechnet« sich offenbar, auch für die Kommune, betont Theel. Denn so wird sie wieder kreditwürdig.
Geld braucht Neuruppin jede Menge. Denn abgebrannt ist es auch 1990. Jedenfalls ökonomisch. Von den Elektrophysikalischen Werken, zu DDR-Zeiten
heißt nach wie vor so -, darunter Fontanes Geburtshaus, schon im alten Glanz. »Wir übertünchen hier nicht nur Fassaden, bei uns wird nach denkmalpflegerischen Kriterien rekonstruiert und saniert«, betont der Stadtarchitekt. Und verweist stolz darauf, daß nur die historische Farbpalette von 1790 in Frage kommt. »Ich bin zufrieden«, sagt der gebürtige Neuruppiner. »Ich kann mein Hobby als Beruf ausüben.«
Bei Joachim Cierpka, dem Pfarrer, ist das etwas komplizierter Bevor er, übrigens in Cambridge, Theologie und Philosophie studierte, war er Aufnahmeleiter bei Film und Fernsehen, dann Rundfunkjournalist. Kommunikation sei für ihn »ein wesentlicher Schlüssel, um Dinge durchzusetzen«. Er sucht das Gespräch mit allen. Auch am Kamin, bei einem Glas Wein, oder bei Tische. Cierpka gilt als leidenschaftlicher und exzellenter Koch. »Aber unterm Tisch, das gibt's bei mir nicht.«
»Er kann toll argumentieren, er kann Leute zusammenbringen«, schwärmt Otto Theel über »seinen« Pfarrer. Bei der Realisierung des Stadtentwicklungsplans gebe es so viele verflixte Fragen. Da brauche er jemanden, der sich regelmäßig kümmert, alle Leute an den Tisch bekommt. »Denn wenn einer das Handtuch wirft, sind drei Leute nicht mehr arbeitsfähig.«
»Man traut mir das offenbar zu«, sagt Cierpka, was Theel bestätigt. Im Stadtrat stimmten zwei Drittel für den »Referenten 2006«, trotz Opposition von CDU und FDP. »Der gute Wille aller ist nötig«, meint Cierpka. »Und den zu bündeln, zu ordnen und daraus Entwicklungsprozesse anzuschieben, wird meine primäre Aufgabe sein.« Das liege ihm, er habe das auch schon im Pfarramt versucht. »Man muß immer Menschen gewinnen, koordinieren und dann miteinander handeln. Das wünsche ich mir für Neuruppin: in einem großen Konsens oder einer Koalition der Vernunft oder der gangbaren Schritte diese Stadt zu entwickeln.«
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