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  • Politik
  • Olga Kharitidi zum Auftakt ihrer Europa-Tournee zu Gast in der Berliner KulturBrauerei

Reise zu den Schamanen

  • Anna Berg
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine dunkle Hütte. Auf dem Boden liegt eine Frau, deren Rücken mit Erde und Kräutern bedeckt ist. Sie scheint zu atmen, gibt aber keinen Laut von sich. Neben ihr erhebt sich eine runzlige Alte, trommelt, singt, tanzt, klagt, schreit. Dann greift sie zu einem mit Fischen verzierten Dreieck und schiebt es über den Körper der Frau, vor, zurück, vor, zurück. Deren Haut reißt auf, ihr Gesicht jedoch wirkt entspannt, seltsam gelöst. Später, nachdem sie sich angekleidet hat, verläßt sie den Raum ohne eine Geste, ohne ein Wort.

Olga Kharitidi beschreibt dieses Heilungsritual aus dem Altai-Gebirge in ihrem gerade erschienenen Buch »Das wei-ße Land der Seele«. Vergangene Woche stellte sie es in der Berliner Kultur-Brauerei vor, aufgeregt, weil dies erst der Beginn einer ausgedehnten Europa-Tournee für sie ist. Russisch und englisch spricht sie fließend - diese Sprachen markieren ihre beiden Lebenspole.

Geboren in der Sowjetunion, arbeitete sie einige Jahre als promovierte Psychiaterin in einer staatlichen Klinik nahe Nowosibirsk. Workshops führten sie nach New Mexico, wo sie sich inzwischen mit ihrer Familie niedergelassen hat. Emigriert sei sie nicht, versicherte sie, Albuquerque gefalle ihr einfach, hier eröffneten sich Publikations- und Arbeitsmöglichkeiten, die in ihrer ursprünglichen Heimat undenkbar wären. Ihr Buch, unter dem Titel »Entering the Circle« zuerst in den USA publiziert, führt genau dorthin: nach Nowosibirsk und schließlich ins

Altai-Gebirge. Olga Kharitidi erzählt von ihrem Klinikalltag, ihren Patienten, ihren Tagesabläufen, bevor sich alles für sie änderte. Als ihre Freundin erkrankt und kein Arzt sie heilen kann, begleitet sie sie auf ihrer Reise zu einer sibirischen Schamanin. So lernt sie Umaj kennen, die sie irritiert und aufstört, die alles in Frage stellt, was sie bisher zu wissen glaubte. Rätselhafte Träume verfolgen sie, bis sie an ihrem Verstand zu zweifeln beginnt. Im Leben, sagt ihr Umaj, gebe es zwei Aufgaben: sich die äußere Realität aufzubauen und das eigene Selbst zu erschaffen. Wird eine dieser Aufgaben ignoriert oder vernachlässigt, gefährde es die gesamte Existenz.

Olga Kharitidi spricht ohne missionarischen Eifer; ihr Erfahrungsbericht folgt der Struktur eines Tagebuchs, dessen Traumsequenzen vermutlich Anlaß zu Diskussionen geben werden. Zu irrational, zu mystisch, zu unwissenschaftlich. Doch in ihrem Beruf hat die Autorin sowohl die Grenzen der Schulmedizin als auch die Gefahren der Selbstentfremdung erkannt. Indem sie die Leser in die Welt der sibirischen Schamanen führt, ermutigt sie sie, sich an eigene Träume zu erinnern, der Kraft des Unterbewußten zu trauen. Die Botschaft ist nicht neu, neu allerdings ist der kulturelle Raum, den sie voller Respekt erkundet, sind Traditionen und Wurzeln, die in der Sowjetunion fast ausgelöscht wurden und nun verzweifelt gesucht werden.

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