- Politik
- Kurt Vieweg - Eine gebrochene Karriere in der DDR
Das Bauernopfer war ein Agrarsekretär
Kurt Vieweg (r.) auf einer Sitzung des Agrarpolitischen Ausschusses, 1948
Foto: ND-Archiv
Den Feinden zur Antwort«, unter dieser Überschrift berichtete Neues Deutschland vor genau vier Jahrzehnten, am 24. Februar 1957, über eine Parteiversammlung am Institut für Agrarökonomie der Landwirtschaftsakademie, die sich mit einem Konzept für »Reformen zur gegenwärtigen Agrarpolitik der SED« beschäftigte. Verfasser des Papiers waren Institutsdirektor Kurt Vieweg und seine junge Assistentin Marga Langendorf. Schon seit einigen Wochen brodelte es am Institut. Die Parteiversammlung sollte einen Schlußstrich unter die Diskussionen setzen. Erich Mückenberger, zu jener Zeit ZK-Sekretär für Landwirtschaft, hielt das Schlußwort. Die von Vieweg und Langendorf entwickelte Konzeption ziele auf Unterhöhlung des Agrarprogramms der SED. Die Angelegenheit werde durch die Partei »geklärt«. Dies geschah dann - mit einem Beschluß der Zentralen Parteikontrollkommission vom 18. März 1957 Vieweg und Langendorf wurden aus der SED ausgeschlossen. Acht Tage später bestätigte das Politbüro diese Entscheidung und überwies den »Fall« an das Ministerium für Staatssicherheit. Vieweg und Langendorf flohen nun in den Westen ...
Der Greifswalder Historiker Michael F Scholz hat sich nach seinem 1995 erschienenen Buch über Herbert Wehner in Schweden erneut einem im nordischen Exil agierenden deutschen Kommunisten und seinem dramatischen Lebensweg zu-
gewandt. In seinem gut recherchierten, spannenden Buch folgt er den Spuren des 1911 in Göttingen geborenen Kurt Vieweg, der anfangs nationalen Kreisen nahe stand und im November 1932 spektakulär den Übertritt von der Hitlerjugend zum Kommunistischen Jugendverband vollzog.
Nach der Machtübertragung an die Nazis emigrierte Vieweg nach Dänemark und Schweden, wo er antifaschistisch aktiv war 1946 nach Deutschland zurückgekehrt, zog er nach Halle, wurde Organisationsleiter der Vereinigung der ge-
genseitigen Bauernhilfe (VdgB) und machfe Karriere. Schon Ende 1946 amtierte er als Landessekretär für Sachsen-Anhalt, ein Jahr später wurde er VdgB-Generalsekretär für die sowjetisch besetzte Zone und auf der I. SED-Parteikonferenz vom Januar 1949 in den Parteivorstand kooptiert. Eineinhalb Jahre später, mit 39 Jahren, stieg er zum Sekretär für Landwirtschaft auf.
Detailliert beschreibt Scholz die Arbeit des von Vieweg mitinitiierten Gesamtdeutschen Arbeitskreises (GAK) der VdgB. Die Westarbeit dieses Gremiums
verlangte unkonventionelle Maßnahmen. Die Zusammenarbeit mit sowjetischen Diensten und der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS bescherte aber dem Landwirtschaftssekretär neben Lob und Anerkennung für die Organisierung gesamtdeutscher Bauerntagungen und spektakulärer Aktionen - wie des Übertritts des einstigen stellvertretenden niedersächsischen Ministerpräsidenten Günther Gerecke im Sommer 1952 in die DDR - auch Mißtrauen und Argwohn. Vieweg mußte den ZK-Apparat verlassen und wurde zum Direktor des 1953 gegründeten Instituts für Agrarökonomie der Akademie für Landwirtschaftswissenschaften berufen.
Akribisches Studium der Akten des SED-Parteiarchivs sowie von Überlieferungen aus dem MfS-Bestand ermöglichten Scholz erstmalig, die Flucht aus und schließliche Rückkehr in die DDR von Vieweg/Langendorf nachzuzeichnen. In der BRD wurden beide offiziell vom Ministerium für Gesamtdeutsche Beziehungen betreut. Sie stellten vor Fachkollegen ihr für die DDR entworfenes Agrarprogramm vor, fanden sich auch zu Hintergrundgesprächen bereit, u. a. mit Herbert Wehner und Egon Bahr. Vieweg und seine Assistentin waren aber auch begehrte Gesprächspartner für westliche Geheimdienste, vermerkt Scholz. Die Motive und Hintergründe, die beide bewogen, am 19 Oktober 1957 wieder in die DDR zurückzukehren, kann auch er nicht eindeutig beantworten. So bleibt nach wie vor Spekulation, ob Viewegs Flucht und Rückkehr zum Plan der innerparteilichen Gegner von Walter Ulbricht gehörten. Sollte er bei führenden westdeutschen Sozialdemokraten um Unterstützung für die SED-Opposition werben? Sollte seine Rückkehr just am letzten Tag der 33. ZK-Tagung den Ulbricht-Frondeuren um Schirdewan, Wollweber und Oelßner den Rücken stärken? Hatte Vieweg Angebote von Wehner mitgebracht?
Obwohl offiziell erst im Februar 1958 Schirdewan und Oelßner ihre Positionen
im Politbüro verloren, war der Machtkampf in der SED-Führung Ende 1957 bereits entschieden. MfS-Minister Wollweber hatte seinen Rücktritt eingereicht, Wirtschaftssekretär Ziller erschoß sich am 14. Dezember 1957 Vieweg und seine Assistentin wurden nach fast zwei Jahren Untersuchungshaft, die offiziell erst ab dem 27 März 1958 (!) datiert, in einem dreitägigen Geheimprozeß durch den 1. Strafsenat des Obersten Gerichts am 1. Oktober 1959 zu zwölf bzw sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Durch eine Amnestie öffneten sich Vieweg am 17 Dezember 1964 die Zuchthaustore von Bautzen. Mit Unterstützung des MfS (!) fand er Arbeit, ab Sommer 1965 als Assistent, ein Jahr später als Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen des Nordischen Instituts der Greifswalder Ernst-Moritz-Arndt-Universität. 1967 erhielt Vieweg die ihm im Prozeß abgesprochenen bürgerlichen Ehrenrechte zurück, 1970 den Status eines Verfolgten des Naziregimes. Zum 1. September 1971 wurde er außerordentlicher Professor
Auf eine parteilich Rehabilitierung wartete Vieweg vergebens. Er starb am 2. Dezember 1976 in Greifswald, Neues Deutschland informierte über seinen Tod erst drei Wochen später - und das auch nur in einer kleinen Privatanzeige.
Erst im April 1990 beantragte der Präsident des Obersten Gerichts der DDR die Kassation des Strafurteils von 1959 Der 6. Strafkammer des Berliner Landgerichts war es dann vorbehalten, diese am 27 Dezember 1990 zu beschließen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.