Schönhauser Allee, zweiter Hinterhof
Internationale Schule in Berlin-Mitte will Kindern mehr beibringen als nur Englisch
Berlins neue, gebildete Mittelschicht
18 Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren besuchen zur Zeit die Vorklasse der Schule, die in diesem Jahr ihren Betrieb aufgenommen hat. Vor einem Jahr erst hat sich der Trägerverein gegründet. Für Berliner Verhältnisse ist diese Spanne zwischen Vereinsgründung und Schulöffnung erstaunlich kurz. Doch Yvonne Wende weiß, dass man klappern muss, um die Politik auf Trab zu bringen. Im Sommer, kurz nach Schuljahresbeginn, war Bundestagspräsident Wolfgang Thierse Gast im Hinterhof der Schönhauser Allee. Davon zeugen Fotos an den Wänden, und Yvonne Wende hofft, dass der hohe Besuch auch die örtlichen Politiker zum Umdenken bringt. Im nächsten Jahr möchte man gern umziehen in ein schönes altes Schulgebäude am Koppenplatz. Doch das wird von Theaterleuten genutzt und die wollen partout nicht weichen. Mit einer Unterschriftenaktion will die Metropolitan School jetzt Eltern in der Umgebung mobilisieren, denn, so Yvonne Wende, »warum sollen Künstler mehr Privilegien haben als Eltern mit Kindern?«
Ja, warum eigentlich? Für Yvonne Wendes Mitstreiterin Mirell Bellmann ist die Sache klar. In den Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg habe ein Bevölkerungsaustausch stattgefunden - die alte Wohnbevölkerung ist einer neuen, urbanen Schicht gewichen. Will heißen: Wo früher Arbeitslose und arme Rentnerinnen die Parks bevölkerten, beaufsichtigen heute Jung-Akademiker ihren spielenden Nachwuchs. Und diese Neu-Berliner blieben nun mal nur dann der Innenstadt treu, wenn es auch ein gutes Bildungsangebot für ihre Kinder gebe, ist sich die junge Frau sicher.
Mirell Bellmann gehört zu dieser neuen Mittelschicht. Ihre Tochter hat sie auf der Metropolitan School untergebracht. Dass das Ganze einen Batzen Geld kostet, nimmt sie in Kauf - 350 Euro muss sie derzeit für den Schulplatz ihrer Tochter zahlen. Der Beitrag wird sinken, versichert Yvonne Wende, wenn der Senat erst einmal Geld für den Schulbetrieb zuschießt. »Wir wollen bezahlbare Bildung anbieten«, betont sie. Doch bis dahin wird noch viel Zeit vergehen. Bis zu fünf Jahre - länger als anderswo in Deutschland - dauert es in Berlin, bis eine freie Schule Geld vom Senat erhält. Für 2005, so Yvonne Wende, erwarte man allerdings vom Senat die ersten Zuschüsse für den Hortbetrieb und die Vorschule.
Von staatlichen Schulen enttäuscht
Dass das Interesse an diesen Schulen mittlerweile selbst in Einkommensgruppen groß ist, die nicht zur klassischen Klientel von Privat-Schulen gehören, hat auch mit einem Mentalitätswandel in der Gesellschaft zu tun. Viele der neuen Gebildeten fühlen sich von den staatlichen Schulen abgeschreckt. »Um es Ihnen gleich zu sagen: Wir machen hier Frontalunterricht, und darauf sind wir stolz. Schließlich sollen die Kinder lernen und nicht spielen«, erfuhr eine Studentin aus Berlin-Friedrichshain von der Rektorin der Schule, in die ihr Sohn dieses Jahr eingeschult werden soll. »Lieber melde ich mich um, als mein Kind in eine solche Schule zu schicken«, erzählt sie frustriert.
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Jeder Schultag beginnt mit einem so genannten Morgenkreis (»Morning Circle«).
Englisch und Deutsch sind die offiziellen Sprachen der Primarstufe. Für die Aufnahme in eine Grundschulklassen muss jeder Schüler in einem Sprachtest die Beherrschung eines Mindeststandards seiner Muttersprache und der Partnersprache nachweisen. Sprachliche Defizite können im Förderunterricht ausgeglichen werden. Der Grundschulunterricht findet auf Deutsch und Englisch statt. Im Fachunterricht wird vor allem Englisch gesprochen.
Unterrichtszeit ist täglich von 9 bis 16 Uhr mit einer darüber hinausgehenden Betreuungszeit von 8 bis 17 Uhr.
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Doch Ummelden ist auf Dauer keine Lösung, das wissen auch Yvonne Wende und Mirell Bellmann. Sie möchten ihre Schule gerne als Teil des neuen urbanen Lebens in Berlins Mitte verstanden wissen. In den vergangenen Jahren schnellten die Geburtenzahlen in den beiden In-Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg in die Höhe. Und irgendwann werden die heute Zwei- oder Dreijährigen schulpflichtig. Doch ein ausreichend gutes Bildungsangebot wird es dann möglicherweise nicht mehr geben, da nach dem Einbruch bei den Geburtenzahlen nach 1990 eine Schule nach der anderen geschlossen wurde. »Natürlich wird hier auch in Zukunft jedes Kind einen Schulplatz finden«, meint Mirell Bellmann, »aber dann eben in Klassen von mehr als 30 Schülern.«
Ihre Schule sehen Yvonne Wende und Mirell Bellmann als Nischenangebot vor allem für Eltern, denen eine bilinguale Bildung und individuelle Förderung ihrer Kinder wichtig ist. Die Klassen an der Metropolitan School sollen klein bleiben. Derzeit stehen drei Lehrer, darunter eine Lehrkraft mit Englisch als Muttersprache, und sechs Honorarkräfte zur Verfügung - ein Betreuungsschlüssel, von dem staatliche Schulen nur träumen können. Das Internationale der Schule drückt sich auch in manchen Umschreibungen abseits des täglichen Unterrichts aus. Lernentwicklungsberichte heißen hier Portfolio. Jedes Kind hat eine solche Mappe, in der der jeweilige Entwicklungsstand und die Fortschritte anhand der individuell aufgestellten Lernziele dokumentiert werden.
Das pädagogische Konzept ist ein Patchwork-Produkt aus verschiedenen reformpädagogischen Lehren. Von Maria Montessori hat man den Ansatz, die Kinder in Kleingruppen zu unterrichten, ihnen Materialien aus dem Alltag zum Lernen zur Verfügung zu stellen und den Leitsatz, dass Kinder nur das gerne machen, was sie auch gut können. Deshalb gibt es im Hinterhof der Schönhauser Allee für die Vorschulkinder viel Raum zum Bewegen, für Sport, Musik und Tanz.
Letzterer steht jeden Mittwoch zwischen 11 und 11.45Uhr auf dem Stundenplan und nennt sich in der Metropolitan School »Dance and Rhythm«. Wer eine klassische Tanzausbildung erwartet, wird enttäuscht werden. Zur live gespielten Klaviermusik bewegen sich die Kleinen durch den Raum, bilden einen Kreis, sinken nieder, verharren, schweigen, schnellen wieder hoch. Es ist mehr ein Hüpfen und Springen als ein Tanzen. Das sei auch gewollt, erklärt Yvonne Wende. Bewegung sei für die Entwicklung des kleinkindlichen Gehirnes wichtig. Nur wer gelernt habe, im Rhythmus sich zu bewegen, sei auch in der Lage, bestimmte kognitive Prozesse im Gehirn zu verarbeiten. Zahlen und Formeln, Buchstaben und Sätze kommen nur über die durch Bewegung angelegten Lernpfade ins Gehirn.
Das Interesse an der Schule ist ungebrochen, erzählt Yvonne Wende. Für das nächste Jahr stehen 100 Anmeldungen in der Liste, eine zweite Vorschulklasse soll im Januar eröffnet werden. Kinder aus 16 Nationen werden sich dann mit »Nice to see you« begrüßen. Zum neuen Schuljahr 2005/06 soll die erste richtige Schulklasse eingerichtet werden. Falls der Bezirk mitspielt. Die Elterninitiative hofft, dass die Politik doch noch einlenkt und sie ihr Wunschdomizil am Koppenplatz beziehen können. Falls es dazu kommt, wollen sie am Nachmittag auch Kurse für Kinder aus Nachbarschulen anbieten.
Notbleibe in einer alten Fabrik
Doch noch residieren die Theaterleute des »Theaterhaus Mitte« am Koppenplatz 12. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Künstler nach einer mehrjährigen Odyssee im alten, denkmalgeschützten Schulgebäude mit Unterstützung der Bezirksverordneten-Versammlung Mitte Unterschlupf fanden. Schauspieler proben dort, wo früher Kinder lernten. Für Yvonne Wende ist das Zweckentfremdung. Das Gebäude sei vor einigen Jahren mit EU-Mitteln saniert worden, damit es wieder als Schule genutzt werden könne. Künstler könnten auch anderswo unterkommen, aber Kinder brauchten nun mal eine richtige Schule und keine Notbleibe in einer alten Fabrik.
»Das "Theaterhaus Mitte" wird auch künftig am Koppenplatz 12 seinen Sitz haben«, sagt indes Kulturstadträtin Dagmar Hänisch (SPD). Für die Elterninitiative hat sie Alternativvorschläge. So werde zum Beispiel eine Schule in der Torstraße bald frei und könnte als Schulgebäude problemlos von der Metropolitan School genutzt werden. Diese Schule sei allerdings in einem »katastrophalen baulichen Zustand«, ärgert sich Mirell Bellmann. »Am Koppenplatz hätten wir dagegen alles, was eine Schule braucht; selbst die alten Tafeln könnten noch genutzt werden.«
So bleibt vieles in der Schwebe, unfertig, ein Provisorium als Dauerzustand. Aber es lebt.
www.berlinmetropolitan.de
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