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  • Politik
  • 850. Jubiläum Moskaus - Fragwürdige Selbstdarstellung im Stadtbild

Siegesgöttin auf Krücken

  • Lesedauer: 5 Min.

Von Svoboda Jahne

Moskau wird in diesem Jahr 850 Jahre alt. Grund genug zur Selbst-. darstellung des neuen Rußlands. Wie man es früher damit hielt, läßt sich am Stadtbild unschwer ablesen. Stalin, der einer ganzen Kunst- und Kulturära den Namen gab, findet sich im nicht vollendeten Ring von grandiosen Hochhäusern um das Zentrum der Stadt verewigt. An Chrustschows Zeit erinnern Plattenbauten, die vielen Moskauern in den 60er Jahren Heimstatt wurden und jetzt allmählich abgerissen werden, und der etwas plump geratene Kongreßpalast im Kreml. Unter Breshnew wurden Ziegelbauten mit großzügigem Interieur für die Politokratie und das Memorial des unbekannten Soldaten an der Kremlmauer errichtet.

Wer heute vom Restaurant »National« zum Kreml hinübersieht, traut als Moskau-Kenner seinen Augen nicht. Der einst zum Alexandrowgarten leicht abfallende Manegeplatz ist im Niveau angehoben und behindert den bisher gewohnten Blick auf Moskaus und Rußlands Wahrzeichen. Ein geradezu klassisches innerstädtisches Panaroma, das Strenge atmete, die Weite des Landes und die Stärke des Staates ahnen ließ, ist zerstört worden. Unter dem Platz entsteht ein mehrstöckiges Einkaufs- und Vergnügungszentrum, gedacht offenbar, um die östlichste Metropole des geographischen Europa zu modernisieren und dem Westen anzupassen. Wer kremlseits auf das Ganze schaut, dem bietet sich ein Bild von verglasten Halbbögen, von Balustraden, von kleinen Brücken, Treppen, eines Wasserlaufs mit Mosaikgrund, von naturalistischen Bronzefiguren, die russische Märchengestalten darstellen. Die Nixe findet sich dort ebenso wie der Alte mit dem goldnen Fischlein oder Kranich und

Bär. Das Gewirr durchbrochener Linien wird nach Süden hin durch eine Fontäne abgeschlossen. Nein, kein russisches Disneyland erwartet den Besucher hier, dafür schmerzen die Anleihen bei einer schon als überwunden geglaubten Architektur das Auge. Irgendwie erinnert alles, insbesondere der figurale Kitsch, an die Moskauer Allunionsausstellung für Landwirtschaft von 1939.

Das russische »Idyll« aus Marmor und Bronze mitten in der Stadt stammt von Surab Zereteli, einem Georgier, der auch das ganz in der Nähe liegende Riesendenkmal Peters des Großen schuf, das dort, wo die Moskwa sich teilt, zum Himmel strebt. Mit dem hüfthohen Steuerrad und der Pergamentrolle in der Hand gleicht der Rußland in die Moderne peitschende Zar eher dem für Amerika gefertigten und dann nicht verkauften Kolumbus (wurde nur der Kopf ausgetauscht?), und doch sollen diese Attribute an die von Peter I. so heiß geliebte »Sache Neptuns« erinnern. Was aber hat ein solches Monument in Moskau zu suchen? St. Petersburg, Kronstadt oder das Schlachtfeld von Poltawa, wo Schwedens Karl XII. besiegt wurde, wären als Standort verständlich, nicht jedoch die von Peter dem Großen gehaßte alte Hauptstadt Rußlands.

Eine weitere Schöpfung Surab Zeretelis, den schon Breshnew schätzte und der momentan dem Moskauer Oberbürgermeister Jurij Lushkow nahe steht, ist das 1995 fertiggestellte Memorial »Poklonnaja Gora« (Hügel des Gedenkens) am Kutusowski-Prospekt. Wieder fällt der penetrante Eklektizismus auf, schrankenlos von der Antike bis zur Gegenwart. Am dominierenden, 141,8 Meter hohen und einem dreikantigen russischen Bajonett ähnelnden Obelisk schwebt eine geflügelte Nike mit ausgebreiteten Armen, in der einen Hand den Siegerkranz. Sie wird flankiert von zwei barocken Putten, die Posaunen blasen, so daß, von weitem ge-

sehen, die Siegesgöttin wirkt, als ginge sie auf Krücken. Am Fuße des Obelisken tötet der heilige Georg mit der Lanze den Drachen, dessen Hals scheibenweise zu Boden rollt. Linkerhand, etwas seitab, steht ein stark georgisch beeinflußter Kirchenbau. Wozu, fragt man sich, war dieses weitläufige Memorial, dem ein ganzer Park zum Opfer fiel, notwendig? Sollte hier ein halbes Jahrhundert nach dem Sieg im Zweiten Weltkrieg mit großem Gestus über die gegenwärtige politische Misere Rußlands hinweggetäuscht werden? Wem eigentlich gilt die Verneigung an diesem Ort des Gedenkens, dem sowjetischen Helden oder dem verblassenden russischen Waffenruhm an sich? An den Großen Vaterländischen Krieg erinnern in und um Moskau viele ergreifende Denkmäler, und für das Jubiläum des Sieges von 1945 hätten der Rote Platz und das Grabmal des unbekannten Soldaten am Kreml ausgereicht. Das falsche Pathos, das über der »Poklonnaja Gora« wabert, ist der fragwürdigen künstlerischen Umsetzung einer ebenso fragwürdigen Selbstdarstellung eines in Rußland schon wieder fragwürdigen politischen Systems geschuldet. Und ist es angesichts einer ausufernden Armut nicht sozial instinktlos, für das Denkmal Peters des Gro-ßen, so Schätzungen, 180 Milliarden Rubel auszugeben? Und wie ist eine Praxis zu bewerten, künstlerische Großprojekte ohne Ausschreibung und ohne öffentlichen Diskurs zu vergeben?

Wieder hat eine Geisterbeschwörung eingesetzt, bei der sich die polithörige neorussische Kunst alter Klischees, Bildkonzepte und Methoden bedient, um im Interesse der Politik identitätsstiftend zu wirken. Zwar ist das russisch-sowjetischrussische Imperium dahin, doch die imperialen Ansprüche, auch auf Osteuropa, sind geblieben und harren der Auferstehung. Wenn die in der Sowjetunion staatsgebundene Kunst pauschal als »totalitär« verdammt wird, könnte dann die-

se Bezeichnung nicht auch auf einige Beispiele der in den 90er Jahren im Auftrag oder mit Duldung des Staates entstandenen neorussischen Monumentalkunst zutreffen? Sie sind immerhin genauso pompös, trivialästhetisch wie propagandi-

stisch vordergründig und greifen auf eine nun schon anachronistische Formsprache zurück. Sicher, Kunst ist kein Ersatz für verlorene Großmachtpositionen, aber sie kann Mahnruf sein und helfen, hegemoniale Hoffnungen wachzuhalten.

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