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  • Politik
  • Rockmusical Die Fabrik im Theater der Landeshauptstadt Magdeburg

Entscheidung für einen Querdenker

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Titel ist keine Anspielung auf die weitgehend abgewickelte Magdeburger Industrielandschaft. Die Geschichte könnte überall dort spielen, wo Jugendliche vom sinnerfüllten Leben träumen. Und doch ist diese - mit Fördermitteln des Landes Sachsen-Anhalt unterstützte - Produktion eng mit dem geistigen Leben der Stadt verbunden, was der Untertitel »Magdeburger Rockmusical« dokumentieren soll. Jugendliche der Stadt stehen zusammen mit Berufsschauspielern auf der Bühne, und auch der Komponist und Songtexter Manfred Ruschak sowie der Dialogtexter Dirk Heidicke leben und arbeiten seit langem in der Elbestadt.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Eine Gruppe von Jugendlichen nimmt eine stillgelegte Fabrik in Besitz und erwirkt über den Vater des Mädchens Vanessa, einen stellvertretenden Bürgermeister, das Recht, an dieser Stelle in eigener Regie ein alternatives Kulturzentrum aufzubauen. Bedingung: Alle »Generationen, Strömungen und Nationalitäten« sollen hier ihre Heimstatt finden. Soll man Kompromisse mit den Zukunftsplänen der Stadtverwaltung eingehen oder die eigenen Vorstellungen mutig durchsetzen? Der Streit um diese Frage spaltet die Gruppe. An der Spitze des einen Lagers steht der geschäftstüchtige, aber anpasserische Rudi, an der des anderen der unbequeme Querdenker Roman. Zwischen ihnen Vanessa, die sich schließlich

für den Querdenker entscheidet. Was aus der Fabrik wird, bleibt offen.

Für die Regie wurde ein Gast geholt. Manfred Repp kommt aus Düsseldorf, hat seine Schauspiel- und Tanzausbildung in New York erhalten und ist in Deutschland vor allem als Regisseur von Musicals hervorgetreten. Er setzt auf Tempo und Rasanz der szenischen Abläufe. Es gibt keinen Stillstand. Selbst wenn sich die Jugendlichen über die Zukunft der Fabrik streiten, dribbeln sie mit wachsender Begeisterung mit einem Ball zwischen den an den Fabrikwänden aufgehängten Netzen hin und her. Der Regisseur läßt sie als Gruppe, als festgefügten Block agieren, und nach der Spaltung stehen sich auf steilaufragenden Treppen zwei feindliche Lager gegenüber. Das Bemühen um Tempo hat jedoch seinen Preis. Vieles gerät zu laut, zu wenig differenziert.

Wohltuend dagegen die stillen, unsentimentalen Liebesszenen zwischen dem Mädchen Vanessa (Daniela Grund) und dem phantasiebegabten Trotzkopf Roman (Oliver Kube). Die größte Bühnensicherheit unter den engagiert spielenden Amateuren hat Christian Friedel als anpasserischer jugendlicher Geschäftsführer Rudi. Da gibt es neben dem Mut zur Übertreibung auch mal überraschend die in dieser Inszenierung so seltenen Zwischentöne. Beeindruckend, wie er sich singend und spielend mit der Rocknummer über die Verlockungen des Geldes in einen hysterischen Besitzrausch hineinsteigert.

Die Rocklieder geben dem Abend das dramaturgische Gerüst. Text und Musik dieser von der Gruppe »Waruschka« lautstark begleiteten Lieder waren bereits ge-

schrieben, als es den Dialogtext Heidickes noch nicht gab. Wohl deshalb entsteht mitunter der Eindruck, als ob das szenische Geschehen, die Konflikte zwischen den handelnden Figuren in den Hintergrund treten. Obwohl die Songtexte nicht frei von Banalitäten und wenig originellen Gemeinplätzen sind - das Mitklatschen der Zuschauer bei den Songs, beispielweise bei denen über die unerfüllten Träume, über den Kampf mit den bürokratischen Instanzen oder das Empfinden, alleingelassen zu sein, beweist jedoch, daß in diesen Momenten etwas vom Lebensgefühl der Heranwachsenden herübergebracht wird.

Um die Inszenierung deutlich von der Tristesse des Schauplatzes abzuheben, in dessen Zentrum ein von Treppen und Podesten umgebener riesiger Fahrstuhl steht (Bühnenbild Helmut Biedermann), hat der Regisseur tief, für meine Begriffe zu tief, in die Trickkiste der in diesem Genre gängigen Wirkungselemente gegriffen: Nebel steigen zur Illuminierung der Solonummern auf, Lichtzerhacker steigern die Hektik des Geschehens, und bunte Lichterketten geben ihm einen märchenhaften Hintergrund. Auffällig auch der absichtsvoll parodistische Einsatz von Requisiten und Dekorationselementen: Beim Solo über die Bürokratie der Ämter beispielsweise umkreist der Sänger einen überdimensional großen Stempel, und im Hintergrund klappert der Chor der Jugendlichen mit Aktendeckeln. Insgesamt eine auf Wirkung bedachte Inszenierung, der es mitunter an Rhythmuswechseln und Momenten der Nachdenklichkeit fehlt.

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