- Politik
- Wie geht's, Peter Przybylski?
»Tollkühn war keiner von uns«
Vom Staatsanwalt, der im DDR-Fernsehen das Wort hatte, zur Kanzlei in Köpenick
Peter Przybylski heute (links) und 1986 mit Irma Gabel-Thälmann Fotos: Weiß, Heinz
sammenhang mit dem Vorgehen der DDR-Generalstaatsanwaltschaft gegen Erich Honecker im Winter 1989/90. Przybylski war deren Pressesprecher vor und nach der Wende bis zur Auflösung. Auch die in der Zeitung geäußerte Kritik an seinem Buch »Tatort Politbüro - die Akte Erich Honekkers« und dessen Zustandekommen hat er nicht vergessen. Nachdrücklich verweist Peter Przybylski auf das dort enthaltene Kapitel »Der Schießbefehl« und betont, er wisse, wovon er geschrieben habe. Schließlich habe er als Anwalt selbst drei ehemalige Grenzsoldaten verteidigt und dabei drei Prozeßeinstellungen erreicht. Die Veröffentlichung des zum Bestseller avancierten Buches, so sein Autor, sei mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des letzten von der Volkskammer gewählten Generalstaatsanwaltes der DDR erfolgt.
Er erinnert sich, wie groß das Theater war, daß ausgerechnet Peter Przybylski über Honecker und die Politbüromitglieder schreibt. »Es hat auch ein Ermittlungsverfahren gegen mich stattgefunden, das aber nicht halten konnte, weil ich diese Veröffentlichungen auf der Basis der DDR-Gesetze gemacht habe.« Noch heute schmerzt es ihn: »Ich habe sehr viel, man kann schon sagen, Rufmord erfahren, nachdem der erste Band >Politbüro< erschienen war, und zwar, würde ich meinen, zu 99 Prozent von Leuten, die das Buch nie gelesen haben.«
Peter Przybylski weiß, daß in der DDR kriminelle Taten von Seiten führender Funktionäre begangen worden sind. Das habe der Generalstaatsanwalt und das hätten auch seine Mitarbeiter gewußt. »Und wenn wir nur die Spur von Macht gehabt hätten, dagegen vorzugehen, hätten wir das getan«,
ist sich der Anwalt heute sicher »Wir konnten es nicht bei Strafe der Vernichtung unserer sozialen Existenz. Und tollkühn war keiner von uns. Ich war auch kein Held.« Als Beispiel nennt Przybylski die Affäre um einen sächsischen Antiquitätenhändler, dem Steuerhinterziehung in siebenstelliger Höhe nachgewiesen worden war Zu einem Prozeß ist es dennoch nie gekommen. Eine damals in Westberlin lebende, sehr bekannte Schlagersängerin, die auch häufig in der DDR auftrat und sich höchster Gunst erfreute, war beim Staatsratsvorsitzenden vorstellig geworden. Sie gehörte zu den prominenten Kunden des Beschuldigten. Ein Anruf aus dem »Großen Haus« beim Generalstaatsanwalt genügte dann.
Im Rechtssystem der DDR habe es keine Gleichheit vor Gericht gegeben. Das Grundrecht, daß der Bürger auch die Möglichkeit hat, gegen seinen Staat vor Gericht zu ziehen, existierte praktisch nicht. Peter Przybylski, wie alle Mitarbeiter der DDR-Generalstaatsanwaltschaft nach der Vereinigung entlassen, bedauert, damals nicht mehr Mut gehabt zu haben. »Das Grundübel, an dem wir alle gelitten haben, war dieser Opportunismus, sich so zu verhalten, wie es gerade erwünscht war «
Der ehemalige Fernsehstaatsanwalt, der seit 1965 etwa 140 Kriminalfälle auf dem Bildschirm behandelt hatte, bekundet: »Ich habe tief an den Sozialismus geglaubt.«
In den letzten Jahren allerdings seien bei ihm die Zweifel gewachsen. Die geheime Zensur, der sich alle, die geschrieben oder geredet haben, unterworfen hätten, sei nur schwer wieder rauszubekommen. »Wenn ich dagegen manche Wessis sehe, mit welcher Rotzigkeit und welchem Schneid sie auftreten - und oft ist nichts dahinter«, erregt sich Przybylski. Die ehemaligen DDR-Bürger gingen selbst »mit guten Karten oft zu sachlich, zu zögerlich, mit falscher Zurückhaltung« vor, während die Wessis
»einfach ihre Trümpfe ausspielen und durch nichts gebremst und gehemmt sind«. Mit dieser Art Selbstbewußtsein fertig zu werden, sei für die ältere DDR-Generation nur schwer machbar. Den Jüngeren mag es gelingen. Das beobachte er, der sich nach wie vor als Linker empfindet, auch an seinem 30jährigen Sohn, der in Potsdam-Babelsberg an der Filmhochschule studiert.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.