- Politik
- Die Lyrikerin Hilde Domin wird morgen 85 Jahre alt
Weggehen können und doch bleiben
Keine reimenden-Jugendsünden. Hilde Domin nahm erst im Herbst 1951 dichterischen Anlauf. Da war sie bereits 39 Jahre alt und lebte in einer tropischen Welt. In Santa Domingo (Dominikanische Republik), Wohin sie 1940 eine Professur ihres Mannes Walter Palm geführt hatte. Zuvor Stationen in Rom und England, wohin die Eltern gegangen waren, wo sich eine Existenz als Collegelehrerin bot. Jahre des Exils also. Schon 1932 hatte Hilde Domin die Abscheulichkeiten des Faschismus erahnt und Deutschland verlassen.
»Da wird einer verstoßen und verfolgt, ausgeschlossen von einer Gemeinschaft, und in der Verzweiflung ergreift er das Wort und erneuert es, macht das Wort lebendig.« Dieser Satz aus einem »Offenen Brief an Nelly Sachs«, die Dichterschwester, steht programmatisch am Anfang. »Man muß weggehen können/ und doch bleiben wie ein Baum:/ als bliebe die Wurzel im Boden.« Über zwei Jahrzehnte hinweg fortan eine dichte lyrische Produktion. Mit der Grunderfahrung: Geborgenheit kann zerstört werden. Aber auch das Vertrauen. »Ich setzte den Fuß in die Luft,/ und sie trug.« Ein schwereloses, selbstbewußtes Beginnen. Leise zunächst, während die Sprache später tö-
nender anmutet, direkter, manchmal sogar appellativ
»Aber der Wind. ./ brennt mir die Herzhaut mit seinem Salpeteratem.« Verse, die man während des Lesens unwillkürlich mitmurmelt. Sensibles Bekunden der Liebe (»Tage wie Segel so hell«; »dein Traum hat Herbstaugen«). Bevorzugte Metapher; der Vogel, die Taube vor allem, die nach Hause fliegen könnte. »Alle Erinnerung weggeglitten/ zu weit/ zu weit über das Ziel/ vor Heimweh«, heißt es in »Heimkehrer«. Innere Zwiesprache, dauernder Aufbruch. Das Judentum. Angstträume: Sträflingskleid. Aufseher im KZ. Menschen, die ihre Grube graben müssen. Schiffe mit Emigrierten, die nirgendwo anlegen dürfen. Das individuelle Schicksal wird zum politischen (»Wie ein Tokaidoexpreß/ sind wir durch die Geschichte gefahren«), führt zur Grundsituation des zeitgenössischen Menschen.
Manches Erlebnis wird erst aufgearbeitet nach der Rückkehr 1954. Längere Studienaufenthalte dann in Spanien (dessen dichterische Traditionen in allem aufblitzen) und in Amerika. 1960 schließlich an die Universität von Heidelberg. Hilde Domin hat über ihre Exilerfahrungen auch einen Roman versucht, der allerdings fast ein Jahrzehnt keinen Verleger fand und bei seinem Erscheinen 1968 nicht mehr in die veränderte Landschaft »passen« sollte. Nicht umsonst sagt sie: »Freiheit/ ich will dich/ aufrauhen mit Schmirgelpapier/ du geleckte«. Mehr Zuspruch findet sie mit ihren Essays, wo sie auch ihre Skepsis gegenüber gestalterischen Moden kundtut und die »Meinungsmaschine« in der bundesrepublikanischen Literatur madig macht. »Wozu Lyrik heute« fragt eine Sammlung ihrer Vorträge. Vehement verteidigt sie die Poesie. Der Dichter, äußerster Gegensatz zum Computer, sei der Sprachhygieniker von heute: »Jedes Wort wird von ihm immer wieder geprüft, damit es genau auf die immer sich wandelnde Wirklichkeit paßt. Das ist eine gesellschaftliche Funktion ersten Ranges.« Und noch ein Zitat: »Das Gedicht ist die Essenz des Gelebten: exemplarisch und vollziehbar gemacht. Suspendierte Zeit, auf einen Punkt gebracht.«
Mit Hilde Domin, die im Exil zur Dichterin wurde, läßt sich wenig hadern. Allenfalls, daß sich in das Gefühl ganz selten Gefühligkeit einschlich (»Der Kuß aus Rosenblättern«). Sie kann an ihrem Lebensabend - am Sonntag feiert sie ihren 85. Geburtstag - auf ein gutes Dutzend Veröffentlichungen verweisen, dazu vielfältige Taschenbuchausgaben, zumeist im Fischer Verlag. Sie ist auch Herausgeberin (»Nachkrieg und Frieden«, mit Erläuterungen der Lyriker zur Entstehung der einzelnen prononcierten Gedichte, ist eine bleibende Anthologie) und Übersetzerin, u.a. von Ungaretti.
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