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- Carola Neher: Erschütternde Biografie einer schönen großen Schauspielerin
»...du sollst im Gefängnis sein«
Carola Neher als Polly
Foto: ND-Archiv
Der Name Carola Neher ist eine Legende für mich. Eine große Schauspielerin, - nie habe ich sie auf der Bühne gesehen. Wie hätte ich auch, - als sie verhaftet wurde, um nie wieder freizukommen, war ich elf Jahre alt. Gehört habe ich ihre Stimme, auf einer Aufnahme der Polly in der Dreigroschenoper. Gelesen habe ich ihren Namen immer wieder, bei Feuchtwanger, bei Brecht, bei Klaus Mann. So ist sie für mich zu einer Kunstfigur geworden, entstanden aus Schilderungen in Büchern. Ihr Ende war mir lange Zeit ebenso unklar wie es für Brecht gewesen war, als er am 20. Juli 1938 in sein Arbeitsjournal schrieb: »Auch Kolzow verhaftet in Moskau. Meine letzte russische Verbindung mit drüben. Niemand weiß etwas von der Neher...« Wann er es erfahren hat, nach dem Krieg, weiß ich nicht. Jetzt kann man nachlesen in einer sehr großen Biografie von Tita Gaehme »Dem Traum folgen. Das Leben der Schauspielerin Carola Neher und ihre Liebe zu Klabund.«
Von ihrer Liebe zu Klabund hat Klaus Mann erzählt: »Damals ging ich viel mit ihm spazieren in Davos. Er sprach von Rasputin, der Bergluft, den Theaterverhältnissen und Carola Neher. Mit Carola Neher ihn zu beobachten war beinahe beunruhigend, so sehr liebte er sie. Ich
vergesse nie den werbenden, gedämpften, zarten Ton, den seine Stimme, sprach er zu ihr, hatte ... Sie war kapriziös und mochte nichts essen; ich sehe Klabund, als sei es heute, wie er sich zu ihr neigte und tief besorgt scherzte: >Ich, als dein Manager muß unbedingt darauf bestehen, daß du eine Kleinigkeit nimmst.<« Das war kurze Zeit vor dem Tod des lungenkranken Expressionisten am 14. August 1928.
Carola hatte immer andere Männer ausprobiert, aber nun ist sie bei ihm, auch Brecht kann sie mit seinen rücksichtslosen Telefonaten »Ist er schon tot?« nicht wegholen zu den Proben der Dreigroschenoper. »Der einzige Mann, der mich kannte und verstand, den ich liebte und verehrte, ist fort. Nichts mehr in meinem Leben kann diesem Glück gleichkommen, das ich durch ihn empfand.«
So war es wohl wirklich, obwohl sie immer Neues sucht, Menschen, Rollen, Liebhaber. Sie läßt sich sogar mit dem Kronprinzen Wilhelm ein, der in der Geschichte des Weltkriegs drei Worte hinterlassen hat: »Immer feste druff«. Sie zeigt sich mit ihm in Konzertsälen und auf Empfängen in Schloß Cecilienhof. Zu der Zeit schreibt sie ihre spöttische »Sportbiografie« für die »Berliner Nachrichten«: Ich liebe den Sport, Eishockey, Eiscremesoda, Bob mit Bobby... Ich kann Spagat, Rad fahren, Radschlagen. Ich flog
aus meinem ersten Engagement und mit dem Wasserflugzeug von Triest nach Venedig ... Ich tanze Black and White bottom und manchem auf der Nase herum ... Ich habe etliche Herzen knock-out geschlagen. Ski-heil!
Bei aller Verspieltheit arbeitet sie hart und wird als Schauspielerin immer besser Vor allem bei Brecht lernt sie viel. Aus dieser Zeit stammt sein »Rat für die
Schauspielerin C. N.«: »Erfrische dich, Freundin/ an dem Wasser aus dem Kupferkessel mit den Eisstücken/ - öffne die Augen unter dem Wasser, wasche sie -/ Trockne dich ab mit dem rauhen Tuch und lies/ Vom Blatt an der Wand die schwierigen Zeilen der Rolle./ Wisse, das tust du für dich und tue es vorbildlich.«
Sie ist zu der Zeit seiner Liebe eine von vielen. Als sie von einer Reise zurückkommt und erfährt, daß Brecht Helene Weigel geheiratet hat, haut sie ihm auf dem Bahnhof den Blumenstrauß um die Ohren. Trotzdem hängt sie an ihm, arbeitet mit ihm, fährt 1931 zusammen mit ihm nach Le Lavandou ans Mittelmeer. Spielt die Johanna in der »Heiligen Johanna der Schlachthöfe«, spielt im Dreigroschenfilm, hat großen Erfolg in Revuen. In der Marxistischen Arbeiterschule lernt sie den Kommunisten Anatol Becker kennen, heiratet ihn und geht mit ihm nach Moskau, bekommt dort ihren Sohn Georg. Aber was für ein Moskau ist das damals! Sie lebt im Elend, ihre Schikkeria-Vergangenheit und die Freundschaft mit einem Kronprinzen machen sie verdächtig. Sie will zurück nach Nazideutschland, aber dort ist sie ausgebürgert. Noch einmal, 1935, sieht sie Brecht, der aus Moskau an Helene Weigel schreibt, daß sie »nicht besonders geschätzt wird« und »ziemlich dick und recht nervös« sei. Daß die Nervosität Verfolgungsangst ist, ahnt er wohl nicht.
Im Mai 1936 wird Anatol Becker verhaftet und als Spion erschossen. Am 25. Juni 1936 holen sie auch Carola Neher ab. Nach den Verhören in der Lubjanka schneidet sie sich mit einem Stück Blech die Pulsadern auf, wird aber gerettet. Das Militärgericht verurteilt sie zu zehn Jahren Arbeitslager. Ihr Sohn Georg kommt in ein Waisenhaus, erfährt nichts von seiner Mutter. Brecht schreibt: »Jetzt höre ich, du sollst im Gefängnis sein/ Die Briefe, die ich für dich schrieb/ Blieben unbeantwortet. Die Freunde, die ich für dich anging/ Schwiegen. Ich kann nichts für dich tun. Wie/ Mag dein Morgen sein?«
Sie hatte kein Morgen mehr. Am 26. Juni 1942 stirbt sie im Lager Sol-Ilezk im Gebiet Orenburg. Dort ist heute ein Gefängnis für »besonders gefährliche Verbrecher«, die tuberkulosekrank sind.
Hätte man uns dies damals gesagt, als die Nazitruppen auf Stalingrad vorzumarschieren begannen und wir hofften, daß die Sowjets trotzdem siegen unter dem Marschall Stalin, wir hätten es für Nazilügen gehalten.
Jahrzehnte später, 1969, findet der Sohn ihre Spur, ihren Todesort und das erste Foto seiner Mutter in der KGB-Akte. Und ein zehn Jahre altes Urteil des Obersten Gerichts der UdSSR vom 13. August 1959: Das Urteil gegen die Bürgerin Bekker wird wegen Nichtbestehens einer Straftat aufgehoben.
Wie gut, daß man das alles nun in diesem Buch nachlesen und daraus lernen kann: so ist der Traum vom besseren Leben der Menschheit, so ist Sozialismus nicht zu machen.
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