- Politik
- August 1942: Beginn der Quit-India-Bewegung
Mit passivem Widerstand zur Unabhängigkeit
Jawaharlal Nehru und Mahatma Gandhi.
In der Mitternachtsstunde des 15. August 1947 erfüllt sich ihrer beider Traum: Mit Salutschüssen, läutenden Tempelglocken und krachenden Feuerwerkskörpern wird die Befreiung Indiens von der britischen Kolonialherrschaft gefeiert.
Foto: ND-Archiv
Hatte es zwischenzeitlich vielleicht den Anschein gehabt, als wären Indiens führende Nationalisten durch den Krieg bedingt zu einer Art Stillhalte-Taktik zu bewegen gewesen, so demonstrierten sie im Sommer 1942 deutlich, daß dem nicht so war und das Streben nach Unabhängigkeit nach wie vor Priorität genoß. So billigte am 15. Juli 1942 der Indische Nationalkongreß das von Mahatma Gandhi vertretene Programm des passiven Widerstands zur Erreichung voller Unabhängigkeit Indiens.
Noch im März 1942 hatte die Regierung in London Sir Stafford Cripps nach Indien entsandt, um mit den Führern des Indischen Nationalkongresses zu verhandeln und einen tragfähigen Kompromiß für ein verstärktes Miteinander im Krieg gegen die faschistischen Achsenmächte zu erzielen. Dieses Vorhaben mißlang jedoch, vor allem weil es die britische Seite strikt ablehnte, indische Politiker umgehend in allen Bereichen an der Regierungsarbeit zu beteiligen und ihnen ein wirkliches Mitspracherecht bei den Entscheidungen des Vizekönigs einzuräumen. In unguter Erinnerung war noch, daß Vizekönig Lord Linlithgow am 3. September 1939 Indiens Kriegseintritt verkündet hatte, ohne zuvor indische Politiker konsultiert zu haben.
Als nun aber der Krieg immer näher an Indien heranrückte, japanische Marine- und Fliegerverbände bereits begannen, ihre Operationstätigkeit auf den Golf
von Bengalen auszudehnen, versicherte Jawaharlal Nehru dem US-Präsident Roosevelt. »Wir haben so lange gegen die früheren Aggressoren um die Freiheit gekämpft, daß wir lieber von der Erdoberfläche verschwinden, als uns einem neuen Eroberer zu beugen.« Mahatma Gandhi wiederum meinte, daß, wenn die Briten sofort abzögen, die Japaner sicherlich Indien nicht angreifen würden. Mochte dieser Gedankengang Gandhis damals vielen auch ziemlich abwegig vorgekommen sein, so verriet er doch auffallend den Vorsatz, unter allen Umständen verhindern zu wollen, daß Indien im Falle einer britischen Niederlage zur Konkursmasse des Empires zählt und anschlie-ßend als koloniales Schacherobjekt herhalten müßte. Ferner hielten es Gandhi und seine Anhänger für angebracht, auch den übrigen Alliierten zu bedeuten, daß nicht nur die Regierung in London und der Vizekönig als Ansprechpartner gesehen werden sollten, wenn es um indische Belange ging. In erster Linie bezog sich das auf die USA, die in Abstimmung mit britischen Stellen Truppen nach Indien verlegen wollten, und denen Gandhi Ende April 1942 sein Mißfallen darüber bekundete.
Nachdem Aussichten auf eine gütliche Einigung kaum mehr gegeben schienen und die Lage an der Front kritischer wurde, faßte das Allindische Komitee des Kongresses am 8. August 1942 den Beschluß, eine Kampagne der zivilen Nichtzusammenarbeit mit den britischen Kolonialbehörden zu beginnen, die als Quit-India-Bewegung (Verlaßt Indien) in die Geschichte einging. Die britischen Be-
hörden reagierten darauf sofort mit massivem Polizei- und Militäraufgebot, wollten den sich entwickelnden passiven Widerstand bereits im Keime ersticken. Schon tags darauf, am 9 August 1942, erklärten sie den Indischen Nationalkongreß für verboten und ließen seine Führer, darunter Mahatma Gandhi, inhaftieren. Dennoch rollte eine Welle spontaner Massenprotestaktionen durchs Land. Mehrere Wochen lang kam es zu Demonstrationen und Streiks sowie zu Überfällen auf Eisenbahnstationen und
Polizeireviere. Im Verlauf dieser Aktionen und Auseinandersetzungen wurden etwa 2000 Personen getötet und nicht weniger als 60 000 in Haft genommen.
War man in London auch schnell bei der Hand, die Quit-India-Bewegung als Aufruhr zur Schwächung alliierter Kriegsanstrengungen abzuqualifizieren, so bewirkte sie doch eher das Gegenteil. Schließlich ging von ihr ein wichtiges Signal an die vielen, an nahezu allen Fronten des Krieges eingesetzten indischen Soldaten aus, den Kampf an der Seite der Alliierten fortzusetzen - aber nicht um ein marodes britisches Empire vor dem Untergang zu bewahren, sondern für ein künftig freies und unabhängiges Indien. Außerdem nahm sie jenen reichlich Wind aus den Segeln, die den Indischen Nationalkongreß für zu kompromißlerisch ansahen und glaubten, auf seiten der Achsenmächte mehr und Besseres für Indiens Unabhängigkeit bewirken
zu können. Von den etwa 15 000 Indern, die in Nordafrika in Gefangenschaft gerieten, und jenen 60 000, die von den Japanern gefangengenommen wurden, ließen sich nur rund 4000 bzw 20 000 zu einem Wechsel der Fronten bewegen. Die meisten taten dies ohnehin nicht aus Überzeugung, sondern vor allem, um dem kümmerlichen und beklemmenden Dasein in den Lagern zu entrinnen.
Mit einer Stärke von ca. 2,5 Millionen Mann hatte Indien während des 2. Weltkrieges die größte »Freiwilligen«-Armee in der Geschichte aufgeboten, die den Alliierten wertvollen Rückhalt gab und viel zu deren Erfolgen beisteuerte. Die Quit-India-Bewegung trug mit dazu bei, daß man sich dessen im Lager der Alliierten auch bewußt wurde und das Verlangen nach Unabhängigkeit nicht länger ignoriert werden konnte. - Am 15. August 1947 endlich schlug dann die Stunde von Indiens Freiheit.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.