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  • Politik
  • Erster Deutscher Schriftstellerkongreß vor 50 Jahren: Wie der Kalte Krieg zwischen Autoren begann

Traum vom großen Gespräch

  • Lesedauer: 6 Min.

Von Klaus Bellin

Der 5. Oktober 1947, ein Sonntag, gehörte zunächst den Toten. Auf die Bühne des Berliner Hebbel-Theaters hatte man eine Tafel mit den Namen der Autoren gestellt, die der Naziherrschaft zum Opfer gefallen waren, und am Pult, sehr gerade und fast unbewegt, stand die achtzigjährige Ricarda Huch, eine grazile Erscheinung im langen dunklen Kleid, um der Ehrung ein paar Worte vorauszuschicken. Sie sprach über die Nöte und Gefahren der Zeit, über Nationalgefühl und historisches Erbe und über die Schriftsteller, deren Aufgabe es sei, Probleme zu erfassen und den Gefahren zu begegnen. Ricarda Huch, die sich den Nazis couragiert und kompromißlos verweigert hatte, war zur Ehrenpräsidentin eines Schriftstellerkongresses erkoren worden, der der erste seiner Art war und zugleich, wie sich herausstellte, auch der letzte. Sie verhehlte nicht ihre Freude, »daß Schriftsteller aus den westlichen Zonen so zahlreich sich eingefunden haben«, und unter dem Beifall der Zuhörer fügte sie hinzu: »Das gibt uns das Gefühl, in Deutschland zu sein, nicht nur in einem Teil von Deutschland, sondern im ganzen einigen Deutschland.«

Fünf Herbsttage lang, vom 4. bis 8. Oktober, war das zerstörte Berlin die ungeteilte Hauptstadt der Literatur. 280 Schriftsteller, Publizisten, Kritiker und Verleger, angereist aus allen Winkeln des Landes, trafen sich, um zur gesellschaftlichen Erneuerung und »Aussöhnung zwischen Ost und West« beizutragen. Ein denkwürdiges Ereignis: Da saßen neben Johannes R. Becher, Anna Seghers, Willi Bredel, Ludwig Renn und all den anderen, die die Fremde des Exils auskosten mußten, Marieluise Fleißer und Peter Huchel, Bernhard Kellermann und Hermann

Kasack, Gustav Kiepenheuer und Ernst Rowohlt, die im faschistischen Deutschland gelebt hatten. Dazu kamen einige ausländische Autoren, Vertreter der Besatzungsmächte und des PEN, und nur, wer den Nazis offenkundig gedient hatte, blieb von vornherein ausgeschlossen. Ein »Parlament des Geistes« sollte es werden, ein Forum literarischer Gemeinsamkeit. Eine Weile schienen die Hoffnungen ungefährdet, aber dann geriet man immer mehr in die Turbulenzen des beginnenden Ost-West-Konflikts.

Heute, fünfzig Jahre danach, ist die Erinnerung an diesen ehrgeizigen Versuch, die drohende Spaltung der Literatur abzuwenden, ziemlich verblaßt. Geblieben sind, weit verstreut, ein paar Erinnerungen, die wenigstens ahnen lassen, was damals geschah. Der Rest ist Legende. Die einst versprochene Publikation der Debatte ist nie erschienen, und wer später über sie schrieb, konnte meist nicht vertuschen, aus welchem Lager er stammte. Erst jetzt ist der Aufbau*Verlag in der Lage, die undeutlichen und verzerrten Linien aus der Welt zu schaffen: Ursula Reinhold, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger haben in einem dikken (allerdings auch kostspieligen) Band Protokoll und Dokumente des Kongresses versammelt, und damit gab es zum ersten Mal eine authentische Ansicht dieser Tagung.

Sie begann in bestem Einvernehmen. Elisabeth Langgässer, 1936 von den Nazis mit Schreibverbot bedacht, zeichnete ein eindringliches Bild vom Leben der Schriftsteller unter der Hitlerdiktatur. Alfred Kantorowicz, einer von den vielen, die über die Kontinente verstreut wurden, beschrieb die Erfahrungen des Exils. Jan Petersen erinnerte an die Kollegen, die in Zuchthäuser und Konzentrationslager verschleppt wurden. Man sprach über äu-ßere und innere Emigration und achtete darauf, daß ja keine Kluft die einen von den anderen trennte. Es war ja noch nicht

lange her, daß Frank Thieß im öffentlichen Disput mit Thomas Mann versucht hatte, die zwischen 1933 und 1945 im Lande geschriebene Literatur höher zu bewerten als die des Exils, und als der Kongreß fast schon heran war, ließ sich Manfred Hausmann gar hinreißen, vom leichteren Leben im Exil zu reden. Johannes R. Becher, konsequenter Verfechter der Bündnispolitik, hat in jenen Tagen all seine Beredsamkeit aufgeboten, um zu vermitteln, und von dieser Haltung zeugte auch die Kongreßregie, die nicht zufällig Elisabeth Langgässer an die Spitze der Rednerliste gesetzt hatte.

Doch die Konflikte ließen sich nicht unterdrücken. Selbst wo die Eintracht ungestört schien, grassierte Mißtrauen. Die aus der Ferne zurückgekehrt waren, hat-

ten Mühe, ihre Vorbehalte gegenüber den Kollegen loszuwerden, die in der Heimat geblieben waren, sogar publizieren konnten und sich womöglich, wer wollte das so genau wissen, mit den Machthabern arrangiert hatten. Hinzu kamen unterschiedliche, ja konträre Auffassungen, welche Rolle Literatur in dieser Nachkriegszeit spielen könne. Zustimmung bei den einen, Proteste auf der anderen Seite, wo man sich heftig dagegen wehrte, Literatur und Politik zu vermengen.

Aber mit solch gegensätzlichen Überzeugungen ließ sich ja noch leben. Schwieriger wurde es schon, wenn das Gespräch aufs politische Gleis geriet. Da berührte etwa Eva-Maria Brailsford, Frau eines verdienstvollen britischen Pazifisten, in einer nachdenklichen und moderaten Rede das Schicksal einiger Berliner Studenten, die verhaftet worden waren,

und erntete eine Zurechtweisung Friedrich Wolfs, der zwar über die Fälle nicht informiert war, aber die rigiden Verfolgungsmethoden der sowjetischen Besatzungsmacht mit der Erklärung rechtfertigte, es ginge hier schließlich um die Bekämpfung faschistischer Aktivitäten. Natürlich hagelte es Widerspruch.

Der Eklat kam am vierten Tag. Eben erst hatte Günther Weisenborn von »scharfen Gegensätzen« im Saal gesprochen, als der Amerikaner Melvin J. Lasky ans Pult trat. Er redete lange. Er sprach über kulturelle Freiheit, pries die amerikanischen Verhältnisse, und es dauerte eine Weile, bis klar wurde, daß er die Zensurpolitik und die Unterdrückungsmethoden in der Sowjetunion geißeln wollte. In der Dokumentation des Kongresses, die lediglich den Text wiedergeben kann, stehen die Reaktionen des Auditoriums in Klammern: »Starke Unruhe; Entrüstung bei einem Teil der Kongreßteilnehmer, Zustimmung bei einem anderen Teil.« Gleich danach mußte sich der Versammlungsleiter einschalten und um Disziplin bitten. Zum Schluß dann stürmischer Beifall und Bravo-Rufe für Lasky.

Was das Protokoll allenfalls andeuten kann, läßt sich bei Hans Mayer zum Beispiel genauer erkunden. Im ersten Band seines Erinnerungsbuches »Ein Deutscher auf Widerruf« erzählt er, wie noch vor der Sitzung in den Kammerspielen plötzlich Kameras und Scheinwerfer der westlichen Medien aufgebaut wurden. Irgendetwas lag in der Luft. Dann die Ankündigung des Redners: Melvin Joseph Lasky »Auch den«, schreibt Mayer, »kannte keiner Ein Amerikaner offensichtlich, wie der Akzent verriet. Woher kam er so plötzlich? ... Was er zu sagen hatte, schien man irgendwo für wichtig zu halten, denn die Scheinwerfer flammten auf, als er begann.«

An diesem 7. Oktober ging die so mühsam bewahrte Gemeinsamkeit in die Brü-

che. Valentin Katajew antwortete am Nachmittag und nannte Laskys Rede kurzerhand eine einzige Lüge, vergleichbar der Hetze von Goebbels. Er habe, bekannte er, endlich einen lebendigen Kriegsbrandstifter gesehen. Damit war das Schicksal des Kongresses besiegelt. Die Veranstaltung, die so manches Riff umsteuert hatte, war unwiderruflich ins Fahrwasser des Kalten Krieges geraten. Vorbei'Weisenborns »Traum vom großen Gespräch«. Ein »Kongreß der Gehirne« sollte es werden, aber dann, notierte er später in seinem Buch »Der gespaltene Horizont«, kam die Sprachverwirrung, kam das Mißtrauen, der Zorn, der Haß. Diesmal hatte ein Amerikaner die Lunte geworfen und die scharfe Systemkonfrontation heraufbeschworen, beim nächsten Mal, kein Jahr späfer, als in Wroclaw ein Intellektuellenkongreß tagte, war es Alexander Fadejew, ein Russe, der mit seiner Rede (die klang, als hätte sie Stalin persönlich verfaßt) für eisiges Klima sorgte.

Die Aufbau-Dokumentation, ein historisches Anschauungsmaterial ersten Ranges, versehen mit einem ausführlichen Vorwort, was den Schriftstellerkongreß in den zeitgeschichtlichen Kontext stellt, wird durch eine faktenreiche Studie des Literaturwissenschaftlers Carsten Gansei ergänzt, die den Gang der Dinge von den Kongreßtagen 1947 bis zum Bau der Mauer beleuchtet. Das Buch aus dem Verlag BasisDruck, »Parlament des Geistes« genannt, beschreibt nüchtern und erfreulich detailliert, wie sich die Differenzen zwischen Ost und West rasch vertieften und die DDR schließlich zur geschlossenen Gesellschaft mutierte. Gansei kann sich dabei auf ansehnliche Archivfunde stützen, die er im zweiten Teil des Bandes auch den Lesern zugänglich macht.

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