- Politik
- Versuchte Sentenzen zu Sachzwängen und Sozialismuskonzeption
Paradigmenwechsel
Paradigma: Beispiel, Betrachtungsund Handlungsmuster In dem Wort stecken auch: Parade, der geregelte Vorbeimarsch, und: Parabel, die Poesieform eines Paradigmas.
Das karthesianische Paradigma, nach Rene Descartes und Isaac Newton, sieht Welt als Uhrwerk, Mensch als Gliedermaschine, welche nach mechanischen Gesetzen, neudeutsch »Sachzwängen«, handelt. Eine überkommene Sichtweise aus dem beginnenden Maschinenzeitalter- Das Ganze gilt als Summe seiner Teile.
In dieser Mechanik gilt das einfache Ursache-Wirkung-Prinzip. Kernsatz: Befehl ist Befehl. Der Gesamtkomplex wird heute als mechanischer Materialismus gefaßt. Einziges Merkmal der Materie, gleich ob gasförmig, flüssig oder fest, ist für Descartes die Ausdehnung. Ökonomisch begegnet uns Ausdehnung im Fetisch der Zuwachsraten. Alle Wirtschaft geschieht nach durchgerechneten Mechanismen. Ausdruck solcher Präzi-
sionsmechanik ist das Kredit-Zins-Tilg-System, womit die Banken unser Leben steuern.
Der Volksaufstand in Albanien, zum Beispiel, reflektiert einen Kollaps dieser Steuerung: Betrug hin, Veruntreuung her - sobald das System anrüchig wird, singt die Bourgeoisie ihr Lied von Treu und Redlichkeit, das von Polizei und Strafjustiz skandiert wird. Lokal mögen derlei Dammbrüche repariert werden können, global nimmt die Systemkrise zu.
Kapital ist einsetzbarer Wirkmechanismus zur Anhäufung von noch mehr Kapital. Die als Ganzes unbegriffene Natur wird so fortwährend in Zahlen auf Konten aufgelöst. Damit einher geht die Entwertung dieser Numerik (Geld) selbst. Diese Vorgänge müssen immer aufwendiger durch unproduktive Machtmittel abgesichert werden. In Verlängerung dessen entsteht eine erschütternde Weltinflation.
Träger des mechanischen Materialismus in der Wirtschaft ist das Privateigentum an Produktionsmitteln, auf dessen Grundlage die Ausbeutung von Mensch und Natur funktioniert. In der Naturwissenschaft ist das karthesiani-
sche Paradigma längst überholt - inzwischen beginnen selbst bürgerliche Geister, über das Problem eines Paradigmawechsels auch für die Gesellschaft nachzudenken. Alle Mühe, Wandel innerhalb des Kapitalsystems zu finden, ist Herumdokterei an Symptomen.
Als Hauptsatz des mechanischen Materialismus wird heutzutage ausgerechnet die Formel: »Das Sein bestimmt das Bewußtsein« kolportiert.
Will man die Grundansicht des Rene Descartes: (»Ich denke, also bin ich«) über diese selbst hinaustreiben, so muß Denken praktiziert werden. Daraus ergibt sich als Grundsatz des Paradigmenwechsels: »Das Bewußtsein bestimmt das Sein (und umgekehrt)«. Vor diesem Leitantrag sträuben sich manch wackerem Materialisten die Haare.
Es gilt »nur«, die materialistische Voraussetzung für den Paradigmenwechsel zu schaffen: die Enteignung der Enteigner. Vor der Majestät einer endlich begriffenen Gesamtnatur verliert jede Eigentümerideologie ihre Rechtschaffenheit. Ist die gesellschaftliche Großtat der Abstreifung aller Egoismen vollzogen, so
stellt sich das Bewußtsein als bewußtes Sein von selbst in Positur
Der bisherige Sozialismus ist nicht an seiner Unmöglichkeit gescheitert, sondern an denkgeschichtlicher Unreife seiner Subjekte. Eine Ausnahme bildet Lenin mit seinem Entwurf über kommunistische Arbeit (»Die große Initiative«).
Dieses Initial hat nach der Oktoberrevolution in Rußland nur zeitweilig gezündet. Nach dem Verebben des Massenheroismus der ersten Fünfjahrpläne sahen sich die Kommunisten gezwungen, die nichtmechanistische Parabel (poetische Version zu Paradigma) durch Wiedereinbeziehung vulgärmaterieller Motive (NÖP) in feindlicher Umklammerung zu überwintern. Es kam zur Diktatur der Apparatschiks.
Lehre: Alle Mechanismen schalten den Geist für sich aus.
Gorbatschows Stammwort war »Mechanism«. Wenn Kommunismus aber durch Mechanismen nicht verhindert werden kann, so ist er damit erst recht nicht zu verwirklichen. Dies ist ein dialektisches Paradoxon.
Kommunistisches Paradigma ist: Einheit von Ethos und Pathos, von sittlichem Wollen und dem Hochgefühl des bewußten Tuns. Ausdruck dessen ist: Leistung in Bescheidenheit. Die Kurzform dafür lautet: Kollektiver Voluntarismus. Blindwirkende Mechanismen haben darin keinen Ort.
Karthesius sah in der Materie keinen
wirkenden Geist. Erst für Hegel manifestiert sich ein sogenannter Weltgeist, im Universum so wie in den subtilen Formen aller Stofflichkeit. Dieser Weltgeist wird sich seiner selbst im Menschen immer annähernder bewußt.
Keine Sozialismuskonzeption kann sich um die Kritik des derzeit geltenden Grundgesetzes herummogeln. Bürgerliche Gesetze sind Festschreibung vulgärer Nutznießerei. Ihre Hüter liefern ihr Grundlagenwerk lieber den Faschisten aus, als daß sie auch nur einen Satz darin von Kommunisten in Schutz nehmen lie-ßen. Faschismus mit seinen Befehlsstrukturen ist die knappste Form des mechanischen Materialismus. Die Nazis haßten Einstein nicht, weil er Jude war, sondern weil seine Relativitätstheorie auch die Grundrisse des karthesianischen Weltbildes relativiert hat. Davon ausgenommen ist nur die oben herausgehobene Befindlichkeit. In aller übrigen Mechanistik liegt das tiefste Geheimnis der Affinität zwischen Faschismus und der Bankendiktatur.
Zum Paradigmenwechsel taugt kein quasi entschlackter Bürgerkatalog. Ausbeutung ist kein Menschenrecht, sie möge noch so statuarisch fixiert sein.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.