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Kristin Otto: Opfer nicht zu Tätern machen

  • Lesedauer: 4 Min.

Die 31jährige Kristin Otto ist mit sechs Olympiasiegen, sieben WM-und neun EM-Titeln die erfolgreichste deutsche Schwimmerin. Die Leipzigerin lebt in Wiesbaden und ist beim ZDF tätig

Foto: AP

? Die Dopingvergangenheit der DDR hat den Schwimmsport bei der EM in Sevilla wieder eingeholt. Was empfinden Sie als frühere Hochleistungssportlerin dabei?

Ungünstiger hätte der Zeitpunkt nicht gewählt werden können. Für die Athleten, die hier sportlich überzeugen wollten, kann es einem nur leid tun. Umgekehrt weiß ich als Journalistin natürlich, warum es jetzt um die Problematik geht.

? Auch Sie werden erneut öffentlich kritisiert und beschuldigt.

Ich werde damit ja seit Jahren konfrontiert. Es ist nichts Neues für mich, aber es geht mir immer wieder sehr nahe. Traurig aber auch wütend macht mich, wie einige meiner Kollegen mit mir umgehen oder umgegangen sind. Was mich so wütend macht, ist, daß eine Problematik teilweise auf meinem Rücken ausgetragen wird, um eine Story attraktiver zu machen. Meine Name wird benutzt, und es interessiert die Leute nicht, daß mein Name dabei beschädigt wird. Ich habe sogar den Eindruck, daß dies bewußt geschieht.

? Haben Sie nicht permanent Angst, daß immer neue Enthüllungen auf den Tisch kommen?

Angst habe ich keine. Ich bin gesund, und das ist das A und O. Die äußeren Umstände muß ich aushalten. Aber es ist belastend.

? Wie sollte man mit der Dopingproblematik umgehen?

Selbstverständlich muß das alles aufgearbeitet werden. Das habe ich schon immer gesagt. Die Schuldigen müssen bestraft werden, aber Opfer dürfen nicht zu Tätern gemacht werden. Ich hätte.mir mehr Sachlichkeit und Menschlichkeit dabei gewünscht. Es ist jetzt zum Beispiel nichts Neues auf den Tisch gekommen, nur die Worte werden schärfer. Es kommt zu Vorverurteilungen, Häme und öffentlichen Hetz- und Verfolgungsjagden. Ich finde erschreckend wie dabei mit Menschen umgegangen wird. Es besteht die Gefahr, daß einige daran psychisch kaputtgehen.

? Wie ist Ihre sportliche Entwicklung in der DDR verlaufen?

Es gab eine rundherum sehr gezielte medizinische Betreuung, auch für mich. Es gibt aber für mich bis heute aus gesundheitlichen Aspekten keinen Anlaß, Schlüsse zu ziehen, daß mein Körper geschädigt worden ist. Wenn Kolleginnen an sich Veränderungen feststellen, ist es für mich logisch, daß sie Rückschlüsse daraus ziehen. Wenn ich Unterlagen in der Hand hätte, die beweisen, daß mir Anabolika verabreicht worden ist, dann würde ich Konsequenzen ziehen und entsprechend hart reagieren.

? Haben Sie gedopt?

Nein und zum wiederholten Male nein.

? Schließen Sie aus, daß Sie gedopt worden sind?

Ich kann das leider nicht mehr ausschließen. Allerdings kann ich es mir nicht vorstellen, denn ich war damals einer der am meisten überprüften Sportler der Welt. Ich bin ja permanent zu Dopingkontrollen gelaufen.

? Wie sollte mit betroffenen Betreuern und Trainern verfahren werden?

In erster Linie muß man ganz klar die Schuldigen definieren und in der Kette am richtigen Glied anfangen. Und da stehen für mich Funktionäre und Ärzte ganz oben. Die müssen knallhart zur Veantwortung gezogen werden. Und ich würde mir wünschen, daß auch in den Medien die Täter entsprechend dargestellt werden. Auch die Trainer sind für mich ein Glied in der Kette. Deshalb müssen sie auch überprüft und gemäß ihrer Beteiligung Konsequenzen gezogen werden.

? Die Dopingproblematik der DDR kommt immer wieder auf den Tisch.

Doping ist kein Problem allein der DDR, sondern der ganzen Welt. Der bequemste Weg ist, lautstark von der DDR zu sprechen und vom weltweiten Problem abzulenken.

? Nach der deutschen Wiedervereinigung ist der Sport der DDR immer wieder in Mißkredit geraten.

Und trotzdem sonnen sich heute alle in den zahlreichen Erfolgen von Athleten, die ihre Grundlagen aus der DDR mitgebracht haben. Man weiß schon lange und gibt es inzwischen auch zu: Es war nicht alles schlecht im DDR-Sport. Aus der Angst heraus, daß Deutschland zur Jahrtausendwende eine Nullnummer ist, wird jetzt darüber nachgedacht, was man nachträglich doch übernehmen kann. Inzwischen wird sortiert und differenziert. Das ist ein Fortschritt und für den Sport sehr wichtig.

Gespräch: Richard Janssen, dpa

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