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  • Politik
  • Wie geht's, Günter Grabbert?

Der lange Weg zum Nathan

Der Protagonist des Leipziger Schauspiels arbeitet heute auf »eigene Faust«

  • Lesedauer: 4 Min.

1989: Probe zu König Heinrich der Vierte

Problem. Wehe, du ordnest dich den Verhaltensweisen in der Gesellschaft nicht unter...«

Bald ist er 66 und würde sich trotzdem gerne noch manchen Arbeitswunsch erfüllen, den Lear zum Beispiel würde er gern noch einmal spielen. »Die Kondition hätte ich heute noch!« - oder Moliere, und vielleicht noch mal vor der Kamera stehen. Auch die Rezitationsabende im »kleinen Kreis« will er nicht missen.

Höhepunkt seiner »Karriere« aber soll eine Weltreise mit seiner

Foto: Nu-Archiv

Frau im Jahr 2000 sein, für die der Büchernarr Grabbert schon heute viel liest und organisiert, bis hin zu eigenen Auftritten im Rahmen dieser Reise. Er kann's nicht lassen!

Vorher aber können rieh seine Verehrer auf eine CD freuen, die noch in diesem Jahr mit der sonoren Grabbert-Stimme unter dem Titel »Meine Sicht auf Goethe« erscheinen wird.

nen Jahre zu reden. Günter Grabbert hat in seiner Karriere beinahe alles gespielt, wovon ein Schauspieler nur träumen kann: Vom König Lear, über Peer Gynt, Faust und Mephisto bis zum heutigen Nathan. War das eine geradlinige Entwicklung?

Grabbert, ein wenig nachsinnend, resümiert: »Nein, die Strecke zwischen Faust, dem Nathan in meinen jüngeren Jahren und dem jetzigen war durchaus auch reich an Unebenheiten. Vieles fand in der Gestaltung der Rollen seinen Niederschlag. So sind in das Spiel meines heutigen Nathans auch Erfahrungen und Erkenntnisse der Wende mit eingeflossen, denn manches habe ich erst danach begriffen. So ist es beinahe selbstverständlich, daß auch eine Rolle wie der Nathan immer wieder neu gesehen werden muß.«

Seine Zeit in Leipzig unter dem allgewaltigen und allgegenwärtigen, brachialen Generalintendanten Karl Kayser sieht Grabbert sehr diffe-

renziert. Es gab gute und schlechte Zeiten mit ihm. Günter Grabbert wurde immer als Protagonist von Kayser gehandelt, doch oft wollte er hinschmeißen. Letztlich hat ihn aber Leipzig, wohin ihn Johannes Arpe 1956 aus Altenburg geholt hatte, immer wieder gefesselt, denn er fand hier ein breites schauspielerisches Betätigungsfeld. Da halfen auch keine noch so guten Worte von Langhoff und Heinz in Berlin. »Im übrigen«, schmunzelt Grabbert, »habe ich mich als sturer Mecklenburger immer wieder gegen Kayser, der in späteren Zeiten andere Favoriten hatte, durchgesetzt. Es tröstet mich einigermaßen die Überlieferung, daß Kayser kurz vor seinem Tode einmal resümierend gesagt haben soll, der Grabbert war ein Guter, vielleicht sogar der Beste.«

Mit nahezu allen Größen des DDR-Films und -Theaters hat Grabbert gespielt. Seit der Wende aber arbeitet er sozusagen »auf eigene Faust«. Die Gast-Engagements beim Neuen Theater Halle empfindet er

als wunderbaren Neuanfang. Auf die DDR blickt er keineswegs im Groll zurück. »Dieser Staat war meine ganze Entwicklung. Ich bin zu nichts gezwungen worden und wollte den Menschen eine Idee nahebringen, für die ich mich nicht schäme. Ich kann mich auch mit den proletarischen Figuren in meinen Rollen identifizieren. Konrad Wolf zum Beispiel hat mir vorgelebt, was ein Kommunist ist und mich gelehrt, dieses Wort als Ehrentitel zu begreifen! Zugegeben, ich würde solche Rollen heute anders spielen.«

Daß er auch Irrtümern erlegen war, verheimlicht Grabbert nicht. Mit Widersprüchlichem, so in der Entwicklung seiner eigenen Kinder, mußte er fertig werden. Seine Tochter hatte viel zu erdulden, weil sie einen ausländischen Partner kennengelernt und schließlich auch geheiratet hatte; seinen Sohn zog es noch kurz vor der Wende aus Protest vor dem Staat DDR in den Westen. Jetzt diskutieren Vater und Sohn ganz anders miteinander - damals aber, so Grabbert, habe er den Sohn nicht verstanden; heute gibt er ihm recht.

Hat der Schauspieler in Lessingschem Sinne »seinen Ring« im Leben gefunden? »Wissen Sie, man ist eigentlich immer auf der Suche nach diesem Ring, auch wenn man ihn oft zu haben glaubte. Die Hoffnung darauf aber muß man schon haben, denn wenn man sich anpaßt, macht man sich letztlich schuldig!« Auf das Zitat im Nathan angesprochen, daß »was man ist und sein muß in der Welt, ja wohl nicht immer zusammenpaßt«, lacht Grabbert nachdenklich: »Das ist oin Menschhfiits-

Am nächsten Mittwoch Eichen-

berg, Chef des Rundfun, chesters Leipzig

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