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  • Politik
  • Das Ende Kippenbergers und des KPD-Nachrichtendienstes

In die Mühlen von Fraktionskämpfen geraten

  • Bernd Kaufmann
  • Lesedauer: 7 Min.

Das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR befand ihn schuldig, für feindliche Geheimdienste »spioniert« und einer »Terrorgruppe« angehört zu haben: Hans Kippenberger, deutscher Kommunist, Vertrauter Ernst Thälmanns. Am 3. Oktober 1937 wurde er in Moskau ermordet.

Seit Mitte der 20er Jahre hatte Hans Kippenberger den Nachrichtendienst der KPD geleitet. Ursprünglich als Spitzelwarndienst geschaffen, gehen seine Wurzeln bis in die Gründungsphase der KPD zurück. Der Nachrichtendienst war Bestandteil des auf Betreiben der Komintern geschaffenen illegal tätigen Parteiapparates. Neben seiner Hauptaufgabe, der Nachrichtenbeschaffung, wurde ab Mitte der 20er Jahre sein Betätigungsfeld auf die Überwachung von mißliebigen Parteimitgliedern und die geheime Informationsbeschaffung für Moskau ausgeweitet. Er arbeitete unter verschiedenen Bezeichnungen; am bekanntesten sind: Abteilung Militärpolitik (AM) bzw Militärpolitischer Apparat. Daneben gab es weitere Geheimapparate wie die Paßabteilung, den Parteiselbstschutz und die Abteilung Waffen- und Munitionsbestände.

Knapp ein Jahr nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland, als die von den Nazis erbittert verfolgte KPD ums Überleben kämpfte, Thälmann und viele andere Kommunisten bereits inhaftiert waren, insbesondere aber nach der Ermordung John Schehrs am 1. Februar 1934, geschah das Unglaubliche: In der Führung der KPD entbrannte ein »regelrechter Erbfolgekrieg«. Hauptexponenten waren die PB-Mitglieder Hermann Schubert und Walter Ulbricht. Die Auseinandersetzungen nahmen gegen Ende 1934 derart unerträgliche Formen an, daß sich das Präsidium des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI) entschloß, alle PB-Mitglieder nach Moskau zu beordern (vgl. H. Kühnrich, »Die Arbeit liegt zu Berge ...«, ND vom 7V8.8.1993).

Ende Januar 1935 wurde eine Resolution durchgesetzt, in der gegen die sektiererische Haltung der PB-Mehrheit gegenüber der Einheitsfrontpolitik, zu der sich die Komintern im Kampf gegen den Faschismus durchgerungen hatte, Stellung genommen wurde. Der Sitz des Politbüros wurde nach Moskau verlegt, nur Ulbricht und Franz Dahlem wurden nach Prag abkommandiert, um von dort über

sogenannte Grenzstellen die Anleitung der illegal tätigen Parteiorganisationen in Deutschland zu organisieren.

Ulbrichts und Dahlems Befugnisse erstreckten sich jedoch nicht auf den Nachrichtenapparat der KPD Dieser unterstand nach wie vor direkt dem Politbüro in Moskau und verfügte über eigene Verbindungen nach Deutschland. Er hatte vor allem die illegal tätige Partei vor der Gestapo zu schützen, V-Leute zu enttar-

nen, Informationen aus Hitlers Machtzentren sowie geheime militärische und Rüstungsinformationen für sowjetische Dienste zu beschaffen.

Nach wie vor bestanden innerhalb der KPD-Führung erhebliche Differenzen zwischen Schubert und Wilhelm Florin auf der einen sowie Pieck, Ulbricht und Dahlem auf der anderen Seite. Es blieb nicht aus, daß der Nachrichtenapparat in die Machtkämpfe involviert wurde. Kippenberger unterrichtete seine Mitarbeiter und andere Funktionäre freimütig

über Meinungsverschiedenheiten im PB und in der Komintern. Aus seinen Sympathien für Schubert und Florin und Antipathien gegenüber Ulbricht machte er keinen Hehl. Ulbricht, dem dies nicht verborgen blieb, versuchte, Kippenberger auszuschalten und dessen Apparat unter seine Kontrolle zu bringen. Noch vor seiner Abreise nach Prag beantragte er eine »Untersuchung« der Arbeit des Nachrichtendienstes und des Verhaltens sei-

Hans Kippenberger (1898-1937), seitden 20er Jahren Chef des Nachrichtendienstes der KPD, von Stalin zu einem »Spion« erklärt

Bernd Kaufmann ist Mitautor des im Dietz Verlag Berlin 1993 erschienenen Buches »Der Nachrichtendienst der KPD«

nes Ghefs. Ulbricht meinte, Kippenberger verbreite »parteizersetzende Gerüchte« (vgl. Brief Ulbrichts an Pieck vom 28.3.1935; in: SAPMO BArch, ZPA, I 2/3/283). Zugleich verwies er auf Mängel in der Arbeit des Nachrichtendienstes.

In der Tat gab es da ernste Probleme. Auch andere Funktionäre wie Herbert Wehner hatten dies schon angesprochen. So funktionierten Verbindungen zu Parteibezirken nur noch sporadisch. Aus Verhaftungen wurden nicht immer die richtigen Lehren gezogen, und es gab zu

wenige V-Leute in der Gestapo, um vorbeugend eine wirkungsvolle Abwehrarbeit zu organisieren. Eine sachliche Klärung dieser Fragen war jedoch wegen der Fraktionskämpfe nicht mehr möglich.

Ab Januar 1935 begann die von Ulbricht beantragte »Untersuchung«. Der Kommission gehörten Schubert, Fritz Heckert und die Komintern-Mitarbeiter Schwab und Tschernomornik an. In einem Bericht an die Kommission warf Pieck im Februar 1935 Kippenberger »ungenügende Umstellung des Apparates auf die illegalen Bedingungen der Partei« in Hitlerdeutschland vor Kippenberger wurde nun faktisch für die katastrophalen Einbrüche 1933 verantwortlich gemacht, welche die Partei vor allem aufgrund der verheerenden Politik der Komintern erlitten hatte. Noch im April 1933 hatte eine EKKI-Resolution die KPD aufgerufen, die »proletarische Revolution« vorzubereiten.

Am 22. April 1935 faßte das PB in Moskau einen Beschluß über die weitere Tätigkeit des Nachrichtendienstes. Darin wurde verlangt, die Abwehrarbeit zu verstärken und Orientierungen für einen besseren Schutz der Parteikader auszuarbeiten. Der Dienst wurde verpflichtet, die Lebensweise und die politische Tätigkeit der Parteifunktionäre in Deutschland sowie in der Emigration wirksamer zu kontrollieren. Ferner erhielt er das Recht, Einspruch gegen den Einsatz von Funktionären in verantwortlichen Stellen zu erheben (vgl. Vorschläge an das PB zur Arbeit der mil. pol. Abteilung, in: SAP-MO BArch, ZPA, I 2/705/4. Protokolle der PB-Sitzungen vom 17 und 22.4.1935. in: SAPMO BArch, ZPA, I 2/3/18).

Kippenberger mußte seinen Sitz nach Prag verlegen. Den Forderungen Ulbrichts und Dahlems, ihnen den Nachrichtendienst zu unterstellen, kam das PB jedoch nicht nach. Die beiden ließen nicht locker. Im Juli 1935 erklärte Dahlem: »... mit einem Punkt sind wir nicht einverstanden. Das ist das Verhältnis des Apparates (Nachrichtendienst, B.K.) zur Leitung, zum Polbüro. Wir sind nicht einverstanden, daß darin steht, daß der Apparat seine Direktiven direkt von Moskau bekommt ... Wir haben keine Lust, die Verantwortung in Prag zu übernehmen, wenn wir nicht die Kontrolle haben und die politischen Direktiven geben.« (in: SAPMO BArch, ZPA, I 2/3/18)

Auf der »Brüsseler Konferenz« der KPD im Oktober 1935 in Kunzewo bei Moskau wurde der Nachrichtendienst ein weiters Mal in hohem Maße der Verantwortung für den Blutzoll der Partei beim Übergang in die Illegalität bezichtigt und Kippenberger beschuldigt, seinen Apparat dem Einfluß der Partei entzogen und zum Instrument der »Gruppenkämpfe« gemacht zu haben. Es erfolgte die Abwahl von Schubert, Schulte, Wahls und Kippenberger Das neue Politbüro bestellte Kippenberger und weitere leitende Mitarbeiter seines Dienstes nach Moskau,

sofern sie sich noch nicht dort befanden. Die weiteren »Untersuchungen« übernahm nun die Komintern. Kippenbergs Apparat wurde verdächtigt, von gegnerischen Agenten durchsetzt zu sein.

Der schließliche Bericht der Kaderabteilung des EKKI enthüllt durchaus tatsächliche Schwächen in der Arbeit des KPD-Nachrichtendienstes und kritisiert die fast gänzlich fehlende Anleitung und Kontrolle durch das PB. Er enthält aber auch einseitige und haltlose Beschuldigungen, wie den Vorwurf, der Apparat habe Thälmann nur ungenügend geschützt. Es findet sich hier auch die Beschuldigung, die Nachrichtenarbeit habe »viel zu sehr auf das Gebiet ausgesprochener Spionagetätigkeit« übergegriffen, »was schon nicht mehr den Interessen der Partei« entsprechen würde. Unterschlagen wird, daß der sowjetische Militärgeheimdienst die KPD ständig unter der Flagge des Internationalismus zur Militär- und Rüstungsspionage anspornte, diese Aktivitäten nach 1933 noch forcierte und in eigene Regie übernahm.

Der Komintern-Bericht stand offenbar bereits unter dem Einfluß der Überwachungs- und Verfolgungsmaßnahmen Stalins. So wurde gefordert, den KPD-Apparat künftig verstärkt für die »systematische Überprüfung der Leitungen und Funktionäre auf ihre Sicherheit« einzusetzen. Er habe »die Einheit der Partei zu fördern und zu überwachen« (Bericht über die Untersuchung des mil.pol. Apparates der KPD vom 10.2.1936, in: BArch, P, ZC 71/3).

Der KI-Bericht wurde am 19 März 1936 im Beisein von Mitarbeitern der Kaderabteilung der Komintern im Politbüro besprochen. Kippenberger erhielt ihn nicht zur Kenntnis. Er wurde lediglich dazu »vernommen«. Erklären durfte er sich nicht. In dieser Beratung bekräftigten die PB-Mitglieder ihre Auffassung, daß der Nachrichtenapparat entscheidende Verantwortung für die komplizierte Lage trage, in die die KPD nach dem Machtantritt Hitlers geraten war Lediglich Dahlem versuchte, an die Mitverantwortung des Politbüros zu erinnern. Di,e Mehrzahl der sich in der UdSSR befindenden Mitarbeiter wurde erst in die Produktion geschickt, später durch das NKWD verhaftet und zum Tode bzw zu Lagerhaft verurteilt.

An die Stelle einer abwehrmäßigen Auseinandersetzung mit dem faschistischen Gegner trat die Überwachung der eigenen Parteimitglieder. Gestützt auf den Beschluß des EKKI-Sekretariats über »den Schutz der Operativen Leitung und des Polbüros vor trotzkistischen oder anderen politisch bedenklichen Elementen« installierte das PB Kommissionen, deren Aufgabe darin bestand, den gesamten Parteiapparat und die Emigration zu überprüfen. Nicht selten dienten früher vom Nachrichtendienst erarbeitete Materialien nun als Grundlage für Vorwürfe gegen aufrechte KP-Mitglieder.

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