Sex und Käse
ANGELICA JACOB über allerlei Begierden
Dieser Roman ist eigentlich eine Reihung vieler kleiner, äußerst delikater Feuilletons über die Liebe und den Genuß, von Käse. Es ist ein Buch voller Lust und Frust, voller sommerlicher Hitze und ein wenig Melancholie. Es ist vor allem ein Buch über die Gelüste einer Schwangeren und über die Unzuverlässigkeit eines Mannes. Und es ist durch und durch ein französisches Buch. Es spielt im französischen Süden und serviert viele Käsehappen samt genauen Beschreibungen derselben. Sowas wird nur in Frankreich angeboten. Aber gerade darin wird der/die Leserin gründlich getäuscht. Die junge Autorin, die sich hinter dem Pseudonym Angelica Jacob verbirgt, lebt in London. So berichtet der Klappentext. Und damit wäre vielleicht schon fast alles über das Buch gesagt, gäbe es da nicht doch noch etwas mehr.
»Verlangen« ist das Buch einer Frau, und es kennt in der Beschreibung sexueller Träume keine Tabus. Das ist nicht neu in der Literatur, Anais Nin zum Beispiel hat damit ganze Stapel von Büchern und Tagebüchern gefüllt. Aber hinter offerierter Schwerelosigkeit verbirgt sich ein wieder neuer Versuch über die Unvereinbarkeit von Liebe, dauerhaftem Glück und Freiheit. Angelica Jacob könnte man fast eine neue Sagan nennen, und, gäbe es nicht schon den Buchtitel, ihren Roman »Bonjour ' Tristesse«. Aber welche Autorin will heute schon Trauer eingestehen oder gar dafür Beziehungsgeflechte gesellschaftlicher Art verantwortlich machen? frau trauert allein, und außerdem hat sie ja auch noch das werdende Kind im Leib. So hat die Au-
sonen zum Ende des Buches hin exzessiv zunimmt und für das Quiproquo der Ver- und Entliebtheiten schon fast eine Landkarte nötig wäre. Diese ganzen Beziehungskisten sind ja sicher notwendig, zu verstehen, was da abging. Aber ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, als wenn die Autorin eine Art von Sonderenergie darauf verwendet, nur ja nachzuweisen, daß auch wirklich alle schön lesbisch waren, selbst wenn man ihnen manchmal einen Ehemann und ein paar Kinder »verzeihen« muß.
Was das politische und soziale Umfeld dieser Künstlerkolonie anging, so scheint die Autorin genauso unbedarft zu sein wie ihre Protagonistinnen. Auch sie wird vom Faschismus ganz überraschend getroffen. Gern hätte man mehr über Hintergründe erfahren. Daß diese ganze Blume auf dem Dünger des Vermögens einiger kunstbegeisterter und aufopferungsvoller Mäzenatinnen gedieh, wie Peggy Guggenheim, Nancy Cunard oder Bryher, wäre
Angelica Jacob: Verlangen. Roman. Aus dem Englischen von Angela Seltner Deuticke Verlag Wien-München. 127 S., geb., 27 DM.
torin denn auch die Handlung auf nur wenige Personen, eigentlich nur auf das Paar selbst, beschränkt: die junge Frau und ihren Liebhaber, einen Feuerschlucker und Stra-ßenkünstler, der sich auch in Liebesdingen als Artist beweist. Wie er mit dem Feuer spielt, so spielt er mit der Liebe. Manchmal ist er da, dann verschwindet er wieder, hinterläßt nur Brandwunden in der Haut, Feuer im Herzen und ein Chamäleon im Karton. Vielleicht wird er mal wiederkommen, aber davon erzählt das Buch nicht mehr. Es geht also um die Gedanken und Sexualträume der Ich-Erzählerin - und ihre Schwangerschaftsgelüste. Das ist eine ausgefallene Roman-Idee. »Anna Boleyn aß Lerchenzungen. Maria Stuart soll es nach den Geschlechtsteilen von Schwänen verlangt haben.« Unsere Frau ißt Brie, Beaumont und Parmesano Reggiano. Sie hat das Glück, ein Spezialgeschäft zu finden, das in Sachen Käsesorten keine Wünsche offen läßt. Statt dessen wachsen mit dem Genuß die sexuellen Begierden zu immer wüsteren Träumen. Bei aller Deftigkeit und etwas künstlich aufgesetzten Leichtigkeit lotet die Autorin doch tiefer, eben in jene Bereiche, die viele Frauen allein mit sich ausmachen müssen. Zudem ist das Buch geschickt angereichert mit kulturellen, psychologischen und religiösen Bildungshappen und von einem fast vollendeten Sprachgeschick.
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