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Warum Angst vor der Gentechnik?

Tagung diskutierte schwieriges Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit Von Steffen Schmidt

  • Lesedauer: 4 Min.

Die Kommunikation zwischen der Wissenschaft und der Öffentlichkeit ist - nicht nur in Deutschland - gestört. Soweit herrschte bei einem Symposium des Deutschen Humangenomprojektes zu eben diesem Thema noch Einigkeit. Weniger Konsens gab es über die Ursachen dieses Zustands. Um den Gründen für die verbreitete Skepsis auf den Grund zu kommen, hatten sich die Genforscher den Kommunikationswissenschaftler und Politiker Peter Glotz eingeladen. Der kam nach einem Rundumschlag gegen den »provinziellen« Zustand der deutschen Hochschulen gleich zur Sache. Für die Gesellschaft sei immer weniger klar, »ob die sich eigentlich mit unseren Problemen beschäftigen«. Die Wissenschaftler hätten nicht nur eine »Bringschuld« gegenüber der Öffentlichkeit, sie müßten sich auch besser auf ihre Gesprächspartner einstellen, kommentierte Glotz die wiederholten Vorwürfe mancher Wissenschaftler, an allen Ängsten seien allein die Medien mit ihren Katastrophenberichten schuld. Es genüge eben nicht, wenn man sich einem Fachredakteur von der Frankfurter Allgemeinen verständlich macht, denn die Meinung mache die »Bild«-Zeitung. Zu oft diene die Fachsprache der Wissenschaftler in Deutschland eher zur Verhüllung als zur Erklärung. Seine Forderungen an

die Wissenschaftler- Es müsse mehr Forscher geben, die bereit sind, ihre Erkenntnisse zu popularisieren. Die Institute müßten charismatischen Persönlichkeiten mehr Raum geben und es müsse in den Forschungseinrichtungen »Facharbeiter der Information« geben, die sich auch gegenüber einem »Bild«-Redakteur verständlich machen können.

Das war in der anschließenden Diskussion manchen Wissenschaftlern Anlaß, die Journalisten in dieser Rolle zu sehen. Die beiden Pressevertreter auf dem Podium warnten vor einer solchen Vereinfachung. Überdies sei es blauäugig zu glauben, vernünftige Erklärungen wissenschaftlicher Sachverhalte allein würden alle Medien von Sensationsberichten abhalten.

Das Problem sah die freie Journalistin Barbara Ritzert zum Teil bei den Wissenschaftlern selbst. Denn oft genug trügen diese selbst zu Überzeichnungen bei. So sei eines der zentralen Probleme bei der Gentechnik der von nicht wenigen prominenten Forschern genährte genetische Reduktionismus, der alles auf irgendein Gen zurückführt. Und wenn da eben vom »Alzheimer-Gen« oder vom »Schwulen-Gen« die Rede ist, unterstütze das die Ängste vor einer Technik, die diese vermeintlich allmächtigen Gene verändert. Und jene Verkürzungen - das sei angemerkt - entstehen keineswegs erst in den Redaktionsstuben von »Bild« oder »Explosiv«, sie finden sich oft genug bereits in den kurzen Zusammenfassungen

der Autoren in renommierten Fachzeitschriften.

Diesem Vorwurf hielt Prof. Dr Karl Sperling vom Berliner Virchow-Klinikum entgegen, daß nicht nur er in seinen Vorlesungen das Wort »Erbkrankheit« längst als unsinnig aus dem Sprachgebrauch verbannt habe. Andererseits gab er zu bedenken, daß die Ängste in Deutschland auch in der historischen Erfahrung mit der mörderischen Eugenik der Nazis wurzelten. Zumal in Deutschland Ärztekammern noch bis Ende der 70er Jahre für die vorgeburtliche Diagnostik, bei der nach genetischen Defekten gesucht wird, ganz unverhüllt Kosten-Nutzen-Rechnungen angestellt hätten. In Deutschland stoße jede Erklärung der Mediziner und der Forschung auch deshalb auf Mißtrauen, weil die Öffentlichkeit die Wissenschaftler vor allem als Lobby in eigener Sache sehe. In den USA oder Italien werden medizinische Forschungen zur Gentechnik oft stärker durch Patientenselbsthilfegruppen als durch den Staat gefördert. Auch in Frankreich werde das Genomprogramm mit Spenden in Millionenhöhe gefördert.

Auch Prof. Dr Jens Reich sah eine der Ursachen für Ängste in der Wissenschaft selbst: »Die Entwicklungen in der modernen Biologie lassen sich zwar sachlich darstellen, doch sie haben nun mal das Potential, Menschen aufzuregen, da sie an weltanschaulichen Grundfesten rütteln.« Während einige der Diskussionsteilnehmer in der Berichterstattung über das geklonte Schaf »Dolly« nur hysterischen Sensationsjournalismus sahen, wo alle Probleme überdies fälschlich der Gentechnik angelastet wurden, stellt sich für Reich durchaus die Frage nach dem Menschen, der Ethik und dem Recht, wenn es tatsächlich möglich sein sollte, erwachsene Säugetiere zu klonen. In jedem Falle sei es ein Fehler, sich als Wissenschaftler der Diskussion zu entziehen, nur weil man vielleicht jedesmal die gleichen Einwände und Fragen hört.

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