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Wenn Jetpiloten die Sau rauslassen

Bundeswehr Der jüngste Tornadoabsturz in der Nordsee ist nur »normaler Schwund«

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Rene Heilig

Am Dienstag abend kehrte ein Tornado der Bundesmarine nicht vom Übungsflug zurück. Nach langem Suchen entdeckten Rettungskräfte Trümmer im Nordseeschlick.

Der Jagdbomber ist das 22. Tornado-Flugzeug, das die Bundeswehr abschreiben muß. Die Maschine und ihre beiden Piloten gehörten zum Marinefliegergeschwader II, das in Eggebek nahe Flensburg seinen Horst hat. Seitdem die Basis vor knapp fünf Jahren 15 Maschinen vom aufgelösten Marinefliegergeschwader 1 übernommen hat, sind hier 60 Tornados stationiert. Sie sind vorwiegend mit Komoran- und moderneren HARM-Raketen bewaffnet, mit denen im sogenannten Ernstfall Schiffe auf den Grund von Nord- und Ostsee geschickt werden sollen. Zumindest aber für eine der drei MFG II-Staffeln kann der »Ernst-

fall« auch fern deutscher Grenzen befohlen werden. Die Maschinen gehören zu den sogenannten Multinational Maritime Forces, die laut Bundeswehr-Weißbuch weltweit deutschen Interessen Geltung verschaffen sollen.

Dazu trainieren die Besatzungen, donnern mit rund 780 Kilometern pro Stunde in nur 60 Metern Höhe über die Wasseroberfläche, fliegen Scheinangriffe auf Feuerschiffe und versenken »von der Sonne geblendet« auch schon mal einen eigenen Tonnenleger So geschehen im Februar 1995. Die Hardthöhe tröstete, die Übungsbomben seien ja nur mit Sand gefüllt gewesen.

Natürlich bleiben - trotz scharfer Sicherheitsbestimmungen - Unfälle nicht aus in einem so großen Unternehmen wie der Bundeswehr So haben Führungsstellen aller Ebenen ein Gutteil Erfahrung im Abwiegeln. Beispielsweise untersucht die Hardthöhe noch immer sehr gründlich, welche Ursachen im vergangenen Herbst zur Kollision zwischen der deutschen Open-Sky-Tupolew und einem US-Starlifer geführt haben - bis die einst neu-

gierige Öffentlichkeit alle Fragen zur Mission des ominösen Südafrika-Fluges vergessen hat.

Lange brauchte es auch, bis Minister Rühe den überzogenen Ehrgeiz eines seiner Hubschrauber-Piloten eingestand. Der hatte am 6. Juni 1996 bei Dortmund ein Dutzend »You 96«-Jugendmessebesucher in den Tod geflogen. Die Hardthöhe »beglich« den Personenschaden mit rund 410 000 Mark. Es war der sechste schwere Bundeswehr-Hubschrauberunfall seit 1970. In jüngster Zeit werden Kritiker immer wieder auf das veraltete Fluggerät hingewiesen. Sogar die Wehrbeauftragte nahm sich der Rüstungssorgen an. Im Beschaffungsplan sind neue Transport- und Kampfhubschrauber sowie der Eurofighter aufgenommen.

Zu alt sind auch die Abfangjäger Marke F4-Phantom, sagt die militärische Führung und lancierte im Kampf um den Bau des Eurofighters Meldungen, wonach man bei etwa 50 der 169 F4-Jets Haarrisse in einem Leitwerksspant geortet hätte. Überhaupt erhöhten sich die War-

tungskosten ob des alten Materials sprunghaft. Freilich rechnet man dazu auch allerlei Maßnahmen zur Kampfwertsteigerung. Die nichts an der Allgemeingefährlichkeit von Phantoms ändert. Die wurde 1996 einem Ultra-Leicht-Flieger zum Verhängnis. Eine Phantom-Besatzung des Fliegerhorstes Hopsten meldet »Vogelschlag«. Nahe der Ortschaft Recke fand man den menschlichen Kollisionspartner Tot. Im Tower von Hopsten war das Radar nicht eingeschaltet.

Auf der aktuellen Verlustliste der Bundeswehr steht auch eine MiG 29 des Jagdgeschwaders 73, die sich im Landkreis Demmin in einen Acker bohrte. Menschliches Versagen wurde als Grund für die

1995er Kollision zweier Tornado-Jagdbomber unweit von Babenhausen im Unterallgäu diagnostiziert. Ein Sprecher meinte, die fliegenden Oberstleutnants des Jagdbombergeschwaders 34 müssen »total verrückt« gewesen sein.

Tiefflug sei nun einmal gefährlich aber notwendig, lautet der offizielle Kommentar Da der zivile Widerstand in Deutschland - vor allem motiviert durch Umweltschäden und fehlende Bedrohung - zu groß wurde, setzten sich die Bundeswehrflieger in Richtung Nordamerika ab. Zwischen April und Oktober rasen deutsche 70 OOO-PS-Pfeile über der kanadischen Goose Bay Mit fast 1000 km/h in nur 30 Metern Höhe - Geräuschpegel 112 Dezibel. Die menschliche Verlustquote ist jenseits des Atlantiks kurz davor, zweistellig zu werden.

Während der »Tiefflugbedarf« über deutschen Landen von 88 000 Stunden 1980 auf 13 000 Stunden im Jahr 1995 sank, baute man die ganzjährig nutzbaren Ausbildungsphasen in den USA weiter aus. Sie bestehen im Verbund mit der US-Air-Force seit den 60er Jahren. Bis 1995 durften deutsche Flugzeuge nur mit US-Kennung und -Flagge geflogen werden. Nun ist das Eiserne Kreuz wieder »in«. Für rund 100 Millionen Dollar baut Rühe im US-Bundesstaat New Mexiko einen Stützpunkt namens Holloman II auf. Bis zum Jahr 2000 will man 42 Maschinen auf der neuen Air-Base stationieren. Die Anzahl der Flugstunden wird von jährlich 2500 auf 8500 steigen.

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