Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Im Spinnennetz der NATO-Basen

Ausbau für US-Interventionen in Konfliktzonen Italien Von Cyrus Salimi-Asl, Neapel

  • Lesedauer: 4 Min.

Der Zusammenstoß eines US-Militärflugzeugs mit einer Seilbahn im Trentino hat viele Italiener daran erinnert, daß sie nicht Herr über ihr ganzes Territorium sind.

Die zahlreichen NATO-Basen sind über das ganze Land verteilt und bilden einen fundamentalen Pfeiler in der globalen NATO-Strategie der Zukunft. Italien ist in Europa das einzige Land, in dem die US-amerikanische Militärpräsenz nach dem Fall der Berliner Mauer und der Auflösung des Warschauer Paktes gewachsen ist. Nach Angaben der Tageszeitung »II Manifeste?« sind derzeit über 15 000 US-Soldaten in Italien stationiert - gegenüber 13 000 während des Kalten Krieges -, dazu kommen fast 2500 Zivilangestellte.

Der größte Stützpunkt ist die Luftwaffenbasis von Aviano in der norditalienischen Region Friaul-Julisch Venetien mit 3800 Soldaten, von der auch die NATO-Angriffe im Bosnien-Konflikt geflogen wurden. Neapel beherbergt das NATO-Hauptquartier für die südlichen Streitkräfte AFSOUTH (Italien, Griechenland, Türkei) und das Kommando über die VI. Flotte im Mittelmeer. Von hier wurden die Einsätze in Jugoslawien befehligt. 3500 Soldaten sind in der Stadt am Vesuv stationiert, mit steigender Tendenz - wie auch im sizilianischen Sigonella, wo derzeit 3000 Mann ihren Dienst tun. Vicenza' (2500 Mann), zwischen Venedig und Verona gelegen, hat sich von einer Basis für »nukleare Unterstützung« in eine Basis für die Projektierung von Einsätzen im Mittelmeerraum gewandelt. Camp Darby bei Pisa ist zwar nur klein, spielt aber eine entscheidende Rolle: Dort liegt der Nachschub für die Kriege in den arabischen Wüsten auf Lager

Für die drei größten Stützpunkte sind umfassende Aufrüstungsarbeiten im Gange oder in Planung. »Aviano 2000« heißt das Projekt für den gleichnamigen Luftwaffenstützpunkt. Um eine Erweiterung des US-Flugplatzes zu ermöglichen, hat die italienische Armee auf eigene Kosten eine Kaserne räumen müssen. Im nahen Zivilkrankenhaus sind sogar ganze Abteilungen der Behandlung von US-amerikanischen Soldaten vorbehalten. Die vereinzelten Proteste von Pazifisten und Anwohnern haben wenig gefruchtet, die Bevölkerung läßt den Dingen ihren Laufund setzt auf eine Dollarspritze für die lokale Wirtschaft. Die US-Militärs haben vor ei-

nigen Monaten neue Büros und neue Bunker im militärischen Bereich des Fliegerhorstes bezogen. In Sigonella haben die großen Umbauarbeiten noch nicht begonnen, doch ist schon von einer Personalaufstockung die Rede, um den steigenden logistischen und operativen Aufgaben der Basis, die die US-Flotten im Mittelmeer, im Roten Meer, im Persischen Golf und im Indischen Ozean unterstützen soll, Herr zu werden.

Italien soll künftig eine helfende Rolle bei US-Aktionen in Konfliktzonen - die von Ex-Jugoslawien bis Ruanda, von Tunesien bis Irak reichen - spielen. So erklären sich auch die Umstrukturierungen der Basen. Exemplarisch ist die Wandlung der Southern European Task Force (SETAF) in Vicenza, die in Zeiten des Kalten Krieges die nukleare Unterstützung für die italienischen, griechischen und türkischen Streitkräfte sicherstellen sollte. Aus diesen Truppen wurde eine Interventionsstreitmacht für den Einsatz in Krisenherden; die SETAF hat auch schon am Golfkrieg teilgenommen. Unter dem Kommando von Vicenza steht auch die SETAF-Infantriebrigade, aus der im

Ernstfall die Task Force Lion für Schnelleinsätze im Mittelmeerraum hervorgehen soll.

Verräterisch für das logistische Spinnennetz, in das die US-Armee die Italiener eingebunden hat, sind die zahlreichen Nachschublager für Munition. Während des Golfkrieges wurden 22 000 Tonnen Bomben von Italien an den Kriegsschauplatz befördert, und die ersten Panzer trafen Ende 1990 aus Camp Darby auf der Arabischen Halbinsel ein. Grundlegend für einen Militäreinsatz ist auch das Informationssystem. So wurde das Telekommunikationssystem für Schiffe in Neapel jetzt in einem Bunker innerhalb des Flugplatzgeländes untergebracht und deckt seit fünf Monaten ein ausgeweitetes Areal ab, das ganz Europa, den Mittleren Osten und den Indischen Ozean umfaßt. Von Neapel aus wird auch ein Teil der Operationen,, die die US-Flotte vor der irakischen Küste vollzieht, kontrolliert.

Aviano hat als einzige der US-Basen in Europa ihre nukleare Aufgabe behalten, hier lagern die Atomsprengköpfe für den Konfliktfall. Mehr als 500 Millionen Mark hat man für die Modernisierung des Stützpunktes aufgewandt. Hier werden auch neue operative Konzepte getestet, die typisch für Kriegshandlungen in weit voneinander entfernten Schauplätzen sind. Dazu gehört Expeditionary Air Wing, eine Einheit, die ihre Feuertaufe im Bosnien-Konflikt erlebte. Italien kommt also eine wesentliche Rolle in der Globalstrategie der US-Streitkräfte zu, eine Strategie, die nichts mit den eigenen Sicherheitsinteressen zu tun hat.

ND-Karten:

Wolfgang

Wegener

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!