Heinz Koch führt seit 23 Jahren Gruppen durch das ehemalige KZ Buchenwald
Gabriele Oertel
Lesedauer: 4 Min.
Wie soll, wie kann man über Buchenwald schreiben? »Das«, so sagt Heinz Koch, »kann ich Dir nicht abnehmen.« Der 75-jährige VVN-Vorsitzende in Weimar hat sich drei Stunden Mühe gegeben, mir Buchenwald zu erklären: Das KZ der Nazis, in dem über 60000 Menschen bestialisch ermordet wurden, Todesmärsche, Lampenschirme aus Menschenhaut, Genickschussanlagen, Steinbrüche, Folterbaracke, die Stelle, an der Ernst Thälmann ermordet wurde, der Streit um Befreiung oder Selbstbefreiung, das Lager nach dem Lager...
Heinz Koch ist kundig in allen Details - seit 23 Jahren führt der gelernte Industriekaufmann durch die Gedenkstätte auf dem Ettersberg Junge und Alte, In- und Ausländer - und Ossis und Wessis, als sie noch nicht wussten, dass man sie einst so nennen würde. Immerhin waren zu DDR-Zeiten jährlich bis zu 60000 westdeutsche Besucher hier. Dass die anders fragten als DDR-Besucher, hat ihn nicht erschüttert. Informiert durch heimische Medien, stellten sie gezielt Fragen nach dem sowjetischen Internierungslager - und Heinz Koch erinnert sich, dem nie ausgewichen zu sein. Erinnert sich allerdings auch, derlei bei DDR-Gruppen nicht angesprochen zu haben. Und nicht nur, weil solche Fragen von denen nicht kamen.
Koch - mit 15 Jahren in die SPD eingetreten, dann 40 Jahre SED-Mitglied und heute in der PDS aktiv - war selbst kein Häftling. Dennoch träumt auch er noch heute von dem Grauen, das viele seiner Kollegen, die Besucher durchs Lager führten, am eigenen Leben erfahren haben. Ist zu begreifen, warum sie blieben? »Wo sollten sie hin?« fragt Koch zurück. Nach zwölf Jahren Haft, oft die Familien im Krieg verloren, viele die Heimat auch. »Sie blieben dort, wo sie das Schrecklichste erlebten, aber auch menschliche Größe, Mut, Solidarität: internationales Lagerkomitee, Selbstverwaltung der Häftlinge, Rettung des Buchenwald-Kindes, illegale Bewaffnung, Selbstbefreiung kurz vor Eintreffen der Amerikaner.«
Tausende ausländische Kameraden kehrten in ihre Heimat zurück, viele deutsche stürzten sich in die Aufbauarbeit. Koch aber weiß auch: »Manche waren einfach kaputt, konnten das Erlebte nicht verarbeiten, bekamen ja nicht - wie heute nach traumatischen Erlebnissen üblich - psychologische Betreuung.« Er erinnert sich an einen Kollegen, der Führungen durch die Reste des KZ nur gelungen fand, wenn bei Besuchern Tränen flossen. Seine grauenhaften Erlebnisse sollten die verschont Gebliebenen wenigsten nachfühlen.
Buchenwald, so Koch, habe immer eine besondere Rolle im Gedenken in der DDR gespielt. »Wegen der Selbstbefreiung, wegen des Schwures, wegen des Apitz-Buches.« So blieb es auch nach der Wende: An keiner Gedenkstätte haben sich die Geister so entzündet, wie an dieser. Zum 50. Jahrestag der Befreiung des Lagers gab es einen riesigen Eklat, als der Dank des damaligen Thüringer Ministerpräsidenten Vogel an die »amerikanischen Befreier« im Pfeifkonzert unterging. Junge und alte Antifaschisten sahen den Anteil des internationalen Lagerkomitees an der Beendigung des Martyriums nicht gewürdigt. Die Pfiffe waren auch Geschichts-Umdeutungsversuchen geschuldet, die nach 1989 stattfanden. Wenn allerdings jetzt unter der aus DDR-Zeiten stammenden Gedenktafel für Thälmann mit dessen Würdigung als großer Arbeiterführer eine weitere Tafel hängt, auf der die oben beschriebene Rolle des KPD-Vorsitzenden distanzierend zum in der DDR gängigen Bild erklärt wird, kann das Koch nur ein müdes Lächeln abringen. »Man muss seine Kräfte auf Wichtiges konzentrieren. Würde Thälmanns und Breitscheids gar nicht mehr gedacht, hätten wir gekämpft - aber dieser Zusatz...«
Vielleicht ist es die Weisheit des Alters, vielleicht auch Wissen um die begrenzte Zeit, in der Wichtigeres zu tun bleibt. Heinz Koch jedenfalls führt Video-Interviews mit ehemaligen Häftlingen, damit Zeitzeugen der Nachwelt wenigstens medial erhalten bleiben. Und er schreibt an einer Publikation über Thüringer Sozialisten mit. Worüber? Über den Kommunisten Ernst Busse, der im KZ Buchenwald als Lagerältester und Kapo im Krankenbau - einem Zentrum des Lagerwiderstandes - agierte, zum illegalen internationalen Lagerkomitee gehörte, 1. Vizepräsident des Landes Thüringen wurde, nach Denunziationen 1950 von der Sowjetischen Militäradministration verhaftet, von einem Militärtribunal zu lebenslanger Haft verurteilt wurde - und 1952 in Workuta starb.
Soll und kann man über Buchenwald schreiben und diese Geschichte weglassen? Man kann nicht, sind Heinz Koch und ich uns einig.
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