Alle in einem Boot und an einen Strang
Eine gar zu simple Frage, die sich nur sehr komplex beantworten läßt, lauten sämtliche Entgegnungen. Auf dem Gesicht von Ernst Wilhelm Rittinghaus schafft sich dazu ein breites Grinsen Platz. Er weiß, jetzt ist er am Zuge. Der gebürtige Sauerländer bildet gemeinsam mit seinem Bruder Ulf und dem EntwiöMungächef JürgerrRabe den Vorstand der SAG. Und die Gebrüder Rittinghaus zeichnen sich nicht nur durch offensichtliches Geschäftstalent, sondern auch durch bemerkenswerte Eloquenz aus. Den Kern des Rittinghaus'schen Redeschwalls bildet das bekannte Motto: Alle in einem Boot, alle an einem Strang. Bei Sachsenring gebe es eben nicht »die da unten« und »die da oben«, es gebe nur eine Mannschaft mit einer gemeinsamen Verantwortung für gute Produkte und sichere Arbeitsplätze, erläutert der bekennende Wahlsachse. Soviel Solidarprinzip in der Wirtschaft macht mißtrauisch, vor allem vor dem Hintergrund der Vielzahl von zwielichtigen Westimporten, die in Ostdeutschland ab- statt entwickelten
und damit Millionen machten. Oder eine Billiglohnstrategie verfolgten, die sie sich in den alten Bundesländern nicht hätten leisten können.
Auch bei Sachsenring sah die Ausgangslage alles andere als rosig aus. Nach der Wende wurde der Betrieb, der über drei Millionen Trabanten in die Welt geschickt hatte, Gnadenlos heruntergefahren, Betriebsteile wurden ausgegründet, rund 2000 Mitarbeiter, meist jüngere Fachkräfte, zum Teil Spezialisten, wechselten ins benachbarte VW-Werk. Ende 1993 sah es dann für die verbliebenen 300 Beschäftigten düster aus. Die Treuhand, deren unselige Rolle im Privatisierungsprozeß jeder bei Sachsenring mit mehr oder weniger offener Entrüstung betont, stufte das Unternehmen, besonders den Bereich Fahrzeugtechnik, als nicht sanierungsfähig ein. (Heute macht Sachsenring mit diesem Unternehmensbereich 82 Prozent seines Konzernumsatzes.) Schließlich fand man die Rittinghaus-Brüder, die im Sauerland einen kleinen Familienbetrieb führten. Deren Jugend und dynamisches Auftreten hätte die verunsicherten Mitarbeiter damals eher zweifeln lassen, erinnert sich Betriebsrat Manfred Schürer Doch die Überzeugungskraft der neuen Chefs habe Letztendlich ihre Wirkung auf die Zwikkauer nicht verfehlt. Und bisher hätten die Sauerländer sämtliche Zusagen eingehalten. Eine beachtliche Leistung angesichts ihres Wortreichtums.
Natürlich muß der Erfolg von Sach-
senring auch vor der allgemeinen Entwicklung des Automobilmarktes gesehen werden, und der boomt. Nach Angaben des Verbandes der Automobilindustrie stieg die Produktion von Kraftfahrzeugen in Deutschland im ersten Quartal dieses Jahres um acht Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, das bedeutet die Herstellung von 1,35 Millionen Autos in drei Monaten. Doch um vom großen Kuchen abbeißen zu können, muß man sich etwas einfallen lassen.
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