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  • Politik
  • Legenden um die Berlin-Blockade 1948

Welker Lorbeer auf General Clays Haupt

  • Lesedauer: 4 Min.

»Die landläufige Meinung, Stalin hätte den Westen mit einer Blockade Berlins überrascht und in eine heikle Lage versetzt, bewegte sich schon immer fernab der Tatsachen«, urteilt der Berliner Geschichtsprofessor Gerhard Keiderling. Neu aus seiner Feder: >»Rosinenbomber< über Berlin«. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir einen Auszug.

Im Frühjahr 1948 bedurfte es keines politischen Scharfblicks, um - wie Clays Berater Murphy - zu erkennen, »daß es mit den Russen vor allem in Berlin Schwierigkeiten geben würde, wenn wir ohne sie eine neue Währung einführten«. Der Weg in die Berlinkrise war vorgezeichnet und unaufhaltbar Je zügiger die Weststaatgründung voranschritt, desto häufiger setzte die Sowjetunion den

Hebel an den Transitwegen in der Viersektorenstadt Berlin an. Die eigentliche Blockade der Berliner Westsektoren setzte aber erst ein, als am Abend des 18. Juni 1948 die Währungsreform in den drei Westzonen verkündet wurde. Bis zum 24. Juni war die Unterbrechung der Transitverbindungen von den Westsektoren Berlins in die Westzonen auf Straße und Schiene komplett. Es folgte die Unterbindung des Binnenschiffsverkehrs als letzte Maßnahme, um den Blockadering um Westberlin zu schließen. Anfang Juli 1948 war die Abschnürung Westberlins zu Lande und zu Wasser nahezu lückenlos. Als einzig freier Zugang verblieben die drei Luftkorridore. Die Luftbrücke wurde installiert.

Naturgemäß hatte die Sowjetunion kaum Mittel in der Hand, die Luftverbindungen so zu sperren wie die Landverbindungen. Der Einsatz militärischer Kräfte schied aus, weil er die Kriegsgefahr erhöhte, was ganz gewiß nicht in

der Absicht Moskaus lag. Massive Behinderungen kamen auch deshalb nicht in Frage, weil es für den Flugverkehr schriftliche Fixierungen gab. In den ersten Wochen nach dem Start der Luftbrücke meldeten die Westalliierten eine verstärkte Flugtätigkeit sowjetischer Jäger in der Nähe der Luftkorridore. Es gab einige Beinah-Zusammenstöße. Die wechselseitigen Protesterklärungen in der Alliierten Luftsicherheitszentrale, einer der wenigen Unterbehörden des Alliierten Kontrollrats, die über den März 1948 hinaus weiter arbeiteten, hatten Symbolcharakter Jede Seite bestand auf der strikten Einhaltung der Rechte und Verpflichtungen, die sie für rechtens hielt. Dem entsprach auch die Zeremonie. Die Vertreter beider Seiten betraten den »Conflict Room« im Amtsgebäude des Kontrollrats durch sich gegenüberliegende Türen; in der Mitte des Raumes verlasen sie ihr Protestschreiben, überreichten es der anderen Seite und verließen wortlos wieder

den Raum. Mehr als ein Spiel der Muskeln war das alles nicht.

Folgenreicher war da die Gegenblokkade, zu der die drei westlichen Militärregierungen nach Absprachen mit ihren Regierungen übergingen. Clay in seinen Erinnerungen: »Als die Sowjets unseren Verkehr mit Berlin blockierten, veranlaßte ich sofort eine Gegenblockade des Transports westdeutscher Waren, die nach Ostdeutschland gehen sollten. Dabei unterstützte mich mein britischer Kollege. Wir sperrten allen Frachtverkehr auf dem Schienen- und Wasserweg zwischen Westeuropa und der sowjetischen Zone.«

Am 16. September 1948 dehnten die amerikanische und die britische Militärregierung die Transportsperre auf den Straßenverkehr aus, so daß nunmehr der Interzonenverkehr und -handel total unterbunden waren. Die Gegenblockade war ohne Zweifel ein schwerer Schlag gegen den von der SED propagandistisch herausgestellten Zweijahrplan. Die totale Unterbindung des Interzonenhandels brachte aber auch der westdeutschen Wirtschaft große Nachteile. Die traditionelle arbeitsteilige Verflechtung zwischen Ost und West zeigte sich in vielen Industriebranchen und im mittelständischen Bereich. Das Stuttgarter »Industrie- und Handelsblatt« nannte im Januar 1949 den Interzonenhandel aus westlicher Per-

spektive »eine absolute wirtschaftliche Notwendigkeit«. Schon im Oktober 1948 hatte der Direktor der Bizonen-Verwaltung für Wirtschaft, Ludwig Erhard, das Bipartite Control Office um die Aufhebung der Interzonenhandelssperre gebeten, da die Bizone darunter litte. General Clay darauf scharf: Erst mit dem Ende der Blockade »wird das Embargo aufgehoben werden, und nicht einen Tag früher«.

Die Gegenblockade hatte weder der Blockade Westberlins Luft verschafft noch die sowjetische Besatzungszone in die Knie gezwungen. Ihre Aufhebung wurde im New Yorker Abkommen vom 4. Mai 1949 beiläufig erwähnt.

Die Schilderung der ereignisreichen Juni-Tage in Berlin durch die spätere Zeitgeschichtsschreibung, wonach der arglose Westen vom hinterhältigen Osten überrascht und in die Zwangslage einer spontanen Entscheidung getrieben worden sei, gehören ins Reich der vielen Legenden des Kalten Krieges. Auch der Lorbeerkranz des US-Militärgouverneurs General Clay, »Vater der Luftbrücke«, muß einige Blätter lassen

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