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Er probte den Aufstand gegen Ulbricht

Zum Tode des 1958 als Revisionist aus der SED-Führung entfernten Karl Schirdewan Von Norbert Podewin

  • Lesedauer: 3 Min.

ND-Foto: B. Lange

Karl Schirdewan 1996

Am Mittwoch verstarb in einem Potsdamer Krankenhaus ein Mann, der als scharfer Kontrahent Walter Ulbrichts DDR-Geschichte schrieb: Karl Schirdewan. Er hat den »Aufstand gegen Ulbricht« - so auch der Titel seiner 1994 erschienenen Erinnerungen - versucht und hat ihn 1958 verloren: Absturz aus der Höhenluft des SED-Politbüros und seines Sekretariats. An der politischen Peripherie Potsdams, als Leiter der Staatlichen Archiwerwaltung, hatte er jedoch die Genugtuung, seinen Kontrahenten am 3. Mai 1971 »auf eigenen Wunsch« vom Posten des Ersten Sekretärs verabschiedet und bis zum Tode aufs politische Abstellgleis geschoben zu sehen.

Karl Schirdewan war kommunistisches Urgestein: 1907 in Stettin geboren, Waisenkind, von einem Breslauer Ehepaar namens Schirdewan adoptiert, 16j ährig Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes, ab 1927 hauptamtlicher Parteiarbeiter der KPD Bei illegaler Arbeit faßten ihn die faschistischen Häscher- »Vorbereitung zum Hochverrat«, drei Jahre Zuchthaus, dann die KZ-Stationen Sachsenhausen, Mauthausen, Flossenbürg. Er überlebte, und die Partei entsandte ihn zuerst nach Bayern; schon im August 1945 schien er Ulbricht jedoch in Berlin unentbehrlich, schätzte dieser ihn doch damals als Verfechter der »Linie«.

Die gab Schirdewan denn auch an den wechselnden Wirkungsstätten buchstabengetreu vor- In der »Westkommission« des ZK, als 1. Sekretär der Landesleitung Sachsen und - nach Abschaffung der Länder 1952 - als oberster Parteichef des Leipziger Bezirks. Als sich im Frühjahr 1953 auch in den eigenen Reihen Widerspruch gegen die Hektik beim Aufbau des Sozialismus, beschlossen auf der 2. Parteikonferenz vom Juli des Vorjahres, breitmachte; rückte er abermals auf. Im Mai 1953 wurde Schirdewan auf Ulbrichts Vorschlag als ZK-Mitglied kooptiert und half diesem nach dem 17 Juni beim Finden und Zerschlagen der »Fraktion Herrnstadt/Zaisser«. Das brachte im Juli

weiteren Machtzuwachs: Mitglied des Politbüros sowie des Sekretariats “des ZK. Nach Chruschtschows Enthüllungen über Praktiken der Stalin-Ära in der geschlossenen Sitzung des XX. KPdSU-Parteitages 1956 kamen Schirdewan Zweifel an Ulbrichts Art öffentlicher Aufarbeitung, die lapidar war- »Zu den Klassikern des Marxismus kann man Stalin nicht rechnen.«

Schirdewan sah das anders, glaubte sich auch einer veränderten sowjetischen Deutschlandpolitik sicher, die Optionen einer Wiedervereinigung enthalten sollte. Doch Chruschtschow setzte sich in Moskau gegen Rivalen durch und wollte an seiner westlichen Flanke keine Experimente, auch nicht personeller Art. So konnte Ulbricht die neuen Rivalen in einem zweijährigen Ringen Schritt um Schritt ausmanövrieren. Den Sturz brachte - in gewohnter »Einmütigkeit« - die 35. Tagung, die am Abend des 6. Februar 1958 »die revisionistischen Angriffe gegen die Generallinie« zurückwies: Neben Karl Schirdewan sahen sich auch Staatssicherheitsminister Ernst Wollweber und Fred Oelßner, stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats, in politische Wüsteneien verbannt.

Nach 1990 hat sich, der durch die Schiedskommission der PDS Rehabilitierte noch mehrfach zur Zeitgeschichte kenntnisreich geäußert. Für diesen Bereich reißt der Tod des 91jährigen eine unschließbare Lücke.

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