Valium, vale!

Von Ingolf Bossenz

  • Lesedauer: 2 Min.
Kaum etwas ist in den letzten Jahren so in Verruf geraten wie die friedvolle Figur des Schläfers. Wehmütig denkt man da an Andy Warhols Film »Sleep«, der den Dichter John Giorno über sechs Stunden lang in wechselnden Schlafpositionen zeigt. Allerdings waren, als der Pop-Künstler 1963 den Streifen in New York drehte, die Twin Towers noch nicht einmal gebaut. Angesichts der allenthalben grassierenden Schläferhysterie verwundert es kaum, dass so mancher sich der über Jahre gehorteten Schlafmittel auf nicht ganz legale Weise zu entledigen sucht. Jüngster Fall ist der Fund derartiger Präparate in der brandenburgischen Uckermark. In einem Gebüsch zwischen Zeltplatz und Röddelinsee bei Templin wurden sie entdeckt: 40 Tabletten Valium, 11 Fläschchen Valiquid und 2230 Tabletten Rohypnol. Die Polizei geht davon aus, dass die ungewöhnlich große Menge eher nicht aus einem privaten Bestand stammt. In der Tat - neben dem Valium fand sich ein Stoffbeutel mit der Aufschrift »Mecklenburg-Vorpommern - Der Landtag«. Ein Indiz, mehr nicht. Das zudem keinen Anlass für die bei solchen Gelegenheiten üblichen Kalauer sein sollte. Möglicherweise handelte es sich ja um den durchaus ehrenwerten Versuch, den Schläfer in der Politik mit etwas pharmakologischer Nachhilfe zu rehabilitieren. Warum das Unternehmen aufgegeben wurde, wissen wir allerdings nicht. Vielleicht wollten die Probanden ihre politische Absicht mit dem Angenehmen verbinden, glaubten also, die (zum Glück sehr seltenen) langweiligen Landtagsreden einfach verschlafen zu können. Eine trügerische Hoffnung. USA-Wissenschaftler haben nämlich herausgefunden, dass Schlafende weitaus intensiver auf akustische Reize reagieren als Wache, da die Hirnaktivität im Schlaf deutlich erhöht ist. Zumindest bei Vögeln ist das so. Doch sollte der Mensch, zumal der politisch hoch Fliegende, nicht evolutionär deutlich weiter sein als seine gefiederten Mitgeschöpfe? Das hieße, jede Rede, und sei sie noch so trist, würde sich tief und unauslöschlich ins Hirn des Schläfers eingraben. Da gibt es nur eins: Weg mit dem Valium!

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