Im »Roten Ochsen« in Halle wurden 549 Menschen von NS-Scharfrichtern ermordet. Später saßen dort Häftlinge des MfS. Eine Gedenkstätte erinnert bald an beide Epochen. Selbst Opferverbände scheinen zufrieden.
Im grauen Boden ist eine Glasplatte eingelassen. Darunter sind Backsteine, ein Betonfundament und ein Gullydeckel zu sehen. »Das ist der sensibelste Punkt der Gedenkstätte«, sagt Michael Viebig, Leiter des »Roten Ochsen« in Halle. Auf dem Betonsockel stand ab 1942 ein Fallbeil, mit dem 549 Menschen hingerichtet wurden: von NS-Richtern verurteilte Widerständler, Deserteure und Zwangsarbeiter bis hin zu einem Familienvater, der auf dem Schwarzmarkt gehandelt hatte und am 10. April 1945, eine Woche vor der Befreiung Halles, als letzter NS-Häftling im Roten Ochsen den Tod fand.
Der Hinrichtungsraum ist Angelpunkt der neuen Gedenkstätte, die nach zweijähriger Arbeit im Herbst in einem Seitenflügel des »Roten Ochsen« eröffnet wird. Er wird nüchtern eingerichtet sein: Das verschollene Fallbeil wird ebenso wenig rekonstruiert wie etwaige weiße Kachelwände, sagt Viebig. Es ist dieser Verzicht auf Effekthascherei, der den Raum als das erleben lässt, was Lutz Miehe einen »authentischen Ort« nennt.
Miehe, der im Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt für das Konzept der Gedenkstätte zuständig ist, stand vor einer heiklen Aufgabe. Im »Roten Ochsen« soll nicht nur an Opfer der NS-Diktatur erinnert werden, sondern auch an Menschen, die ab 1945 von sowjetischen Militärtribunalen und der Staatssicherheit der DDR inhaftiert wurden. Das Gefängnis, das seit 1842 besteht und bis heute vom Justizvollzug genutzt wird, ist ein Ort mit »doppelter Vergangenheit«, in dem sich Spuren beider Epochen überlagern. Aus NS-Todeszellen wurde die Tischlerei der MfS-Haftanstalt; der Gully, in den bis 1945 das Blut der Hinrichtungsopfer floss, leitete später Abwässer einer Waschanstalt ab.
In der Gedenkstätte, die einer von fünf landeseigenen Erinnerungsorten ist und ab 1996 zunächst mit einer provisorischen Ausstellung geöffnet worden war, wird der Versuch unternommen, zwar eine »Geschichte von Menschenrechtsverletzungen von 1933 bis 1989« zu zeigen, gleichzeitig aber eine »bewusste Trennung« der Epochen vorzunehmen, um die »Unterschiedlichkeit der Repressionssysteme und Diktaturen« zu verdeutlichen, sagt Miehe.
Im Erdgeschoss, dessen zentraler Raum die Hinrichtungsstätte ist, wird an die NS-Opfer erinnert, wobei spätere Einbauten entfernt und die »Spuren der NS-Zeit weitgehend freigelegt« wurden, sagt Miehe. Nur an einer Stelle wird mit Tischler-Werkbänken an manch unsensible Nachnutzung erinnert, der NS-Opfer in der DDR vergebens widersprochen hatten. Über einer Mitteletage, die Sonderausstellungen beherbergen sollen, wird an demütigende Haftbedingungen und Verhörmethoden des MfS erinnert - versinnbildlicht etwa durch einen Toilettenraum, in dem das Klo in der Mitte montiert und die Tür mit einem quietschenden Spion versehen wurde, um Gefangenen den letzten Rest von Intimität zu nehmen.
Nicht nur dank der weitgehend konsequenten räumlichen Trennung scheint den Gestaltern der Ausstellung die Gratwanderung zu gelingen, widerstrebende Interessen der verschiedenen Opferverbände zu berücksichtigen. Eklats wie im Torgauer Fort Zinna, wo sich Wehrmachts-Deserteure in einer neuen Ausstellung an den Rand gedrängt sehen, dürften ausbleiben. Im Fall des »Roten Ochsen« erinnert sich Jupp Gerats, Landesvorsitzender des NS-Opferverbands IVVdN-BdA, zwar an manch scharfe Kontroverse. Einige Details der künftigen Ausstellung nennt er »subjektiv und einseitig«. Doch insgesamt scheint am Ende der mehrjährigen Arbeit Zufriedenheit zu herrschen. Anders als in der sächsischen Gedenkstättenstiftung, wo NS-Opferverbände aus Protest gegen einseitige Erinnerungspolitik die Mitarbeit beendeten, sieht Gerats in Halle gar eine »konstruktive Zusammenarbeit« mit den Verbänden der Stalinismusopfer.
Was nicht heißen soll, dass im »Roten Ochsen« aller Streit ausgestanden wäre. Zank gibt es ausgerechnet noch um den Hinrichtungsraum. Die NS-Opfer möchten dort die Namen aller Hingerichteten aufgeführt sehen. Dagegen hat Michael Viebig Bedenken: Darunter seien auch Mörder, und es sei »schwer vorstellbar, alle unterschiedlos nebeneinander zu nennen«. Überlegt wird, ob eine Art Totenbuch ausgelegt werden kann. In jedem Fall müssen die Namen aufgeführt werden, sagt Gerats: »Wir wollen die Toten unbedingt aus der Anonymität zurückholen.«