Der Tellerwäscher
von Grabowhöfe Um der Arbeitslosigkeit zu entgehen, machte Detlef Meja ein »Schlemmereck« auf. Und wurde zu seinem eigenen Ausbeuter Von Peter Richter
ND-Foto: Peter Richter
Kraftanstrengung, sie zu überspringen. Auf besondere Förderung rechnet er nicht, denn Gastronomie gilt selbst im touristisch reizvollen Mecklenburg als Risikounternehmen, für das keine Bank Kredite geben mag.
Detlef Meja wird auch weiterhin mit der Unsicherheit leben: Bleibt Grabowhöfe Schulstandort? Kommen genügend Urlauber in die Gegend? Vor allem aber' Verdienen die Einheimischen eines Tages wieder mehr Geld, das sie auch bei ihm ausgeben? Im Dorf, das früher von großen Landwirtschaftsbetrieben lebte, sind heute 65 (!) Prozent ohne Arbeit. Wenn er früh anfängt, schaut er auf die Neubaublocks, einst für die LPG errichtet. »Da sind nur drei oder vier Fenster hell«, sagt er Und: »Das zu ändern, wäre die beste Förderung für mich.«
Detlef Me a und seine Frau im »Schlemmereck« von Grabowhöfe
waren schon weg - für Tapeten, Farben, sonstiges Material. Also verkaufte er das Auto. Seine Frau, die bis dahin in Waren “als Köchin gearbeitet hatte, war bei ihm eingestiegen und brauchte nicht mehr täglich zu fahren. Und außerdem - ein neues Auto konnte er jederzeit wieder kaufen, auf Kredit, den die Banken für Konsum gern einräumen, für Investitionen aber nicht.
Das Arbeitsamt zahlte ihm für sechs Monate eine Überbrückung in Höhe des Arbeitslosengeldes; das brauchte er für die Wohnungsmiete und zum Unterhalt der vierköpfigen Familie. Die Gemeinde berechnete für das Objekt einen günstigen Mietzins. Die Wirtschaftsförderung aber gab sich mit solch kleinen Projekten gar nicht erst ab, sie orientierte auf Millionenobjekte. »Das bearbeitet hier kei-
net. Das Gewerbeamt hatte nämlich verfügt, daß die Gaststätte neben der Kita nur bis 14 Uhr geöffnet haben darf, da späterer Betrieb die Ordnung und Sicherheit für die am nächsten Morgen 6 Uhr eintreffenden Kleinen nicht gewährleiste. Damit fiel der einträgliche Abendgeschäft weg, aber Meja war findig und machte aus dieser Not eine Tugend. Er bietet nun ab sieben Uhr Frühstück an, ab elf Uhr im Taktbetrieb Schulspeisung, liefert »Essen auf Rädern« für eine Diakoniestation und ab und zu auch Essen für das Jugendwaldheim Luppin, wo vor allem in der Ferienzeit Jugendgruppen verpflegt werden wollen. 150 bis 180 Portionen kommen so täglich aus der Küche - das Schulessen, zwei Gerichte wahlweise, für 3,80 Mark, fünf weitere Angebote täglich zwischen 4,50 und 7,10
Eine Geschirrspülmaschine gibt es in der Küche von »Mejas Schlemmereck« in Grabowhöfe nicht. Nicht nur, weil sie teuer ist und viel Strom und Wasser frißt; außerdem arbeitet sie zu langsam. »Wir haben nicht soviel Geschirr«, sagt der Wirt. »Manchmal geht es aus, und da müssen wir schnell die Teller spülen, damit es weiterläuft.« Dann greift neben Mejas Frau auch die Schwiegermutter zu und sogar er selbst.
Das klingt ein wenig wie die moderne Variante eines alten amerikanischen Märchens - zumal wenn man weiß, daß Detlef Meja vor gut zwei Jahren noch Arbeitsloser mit auslaufender ABM-Stelle war Seit September 1996 aber ist er Unternehmer, Selbständiger, eben der Wirt der einzigen Gaststätte im 1000-Seelen-Dorf Grabowhöfe auf der mecklenburgischen Seenplatte. Vom Tellerwäscher zum Millionär - ist Meja auf dem Weg?
Als der 41jährige anfing, hatte er gerade 4000 Mark auf dem Konto und ein Auto. Allerdings auch einige Verwandte »mit glücklichen Händen« und nicht zuletzt jene Leidens- und Improvisationsfähigkeit des gelernten DDR-Bürgers, die, gepaart mit Lernbereitschaft, auch in der Marktwirtschaft von Nutzen sein kann. Und die Hilfe der Ämter, der Behörden, der Banken? »Kann man vergessen!« Meja wird regelrecht zornig, wenn er die Rufe der Politiker nach einer »Gründerwelle« hört, oder die Erfolgsmeldungen über Arbeitslose liest, die »den Schritt in die Selbständigkeit wagen«. Er weiß, wie sehr die Banken mauern, wie ätzend die Bürokratie ist, wie wählerisch die Behörden mit dem Einsatz von Fördergeldern sind. »Hätte ich das alles vorher gewußt, wäre es wohl nicht dazu gekommen.« Er zeigt auf seine Schwiegermutter, die gerade schmutziges Geschirr von der Schulspeisung wegräumt: »Und so hat sie sich ihre Rente bestimmt auch nicht vorgestellt.«
Meja ist studierter Agrar-Ingenieur-Ökonom, arbeitete zu DDR-Zeiten als Lehrausbilder in der hiesigen Pflanzenproduktion, dann als Landwirtschaftsinstrukteur in der SED-Kreisleitung und im Rat des Kreises. Nach der Wende wurde er Bürgermeister in Neu-Garz, aber als der Posten zum Ehrenamt mit knapp 300 Mark Aufwandsentschädigung umgewandelt wurde, mußte er passen. Jetzt war er arbeitslos, hatte aber noch Glück, denn er konnte - nach entsprechender Umschulung - in ein von der Christlichen Arbeitnehmerschaft der CDU gefördertes ABM-Projekt als Leiter einsteigen. Das lief gut und war nützlich auch für die Region; dennoch beschied ihn das Arbeitsamt vor zwei Jahren: »Bis zur Rente fördern wir keinen.« Da war er 39 und hatte die Idee mit der Gaststätte in Grabowhöfe. Dort gab es eine Kindereinrichtung aus DDR-Zeiten, fast ungenutzt. »Das war nicht mein Wunschtraum, eher
der Zwang der Verhältnisse, um aus dem Teufelskreis herauszukommen.«
Die ersten Hürden bauten die Behörden auf. Dem Bauamt war das Ansinnen zu ungewöhnlich: Eine Gaststätte in einer Kita, die zum Teil noch als solche genutzt wurde? Erst eine energische Eingabe beim Landrat machte den Weg frei. Dann winkten die Banken ab: »Wenn du sagst, daß du arbeitslos bist, kannst du gleich wieder gehen.« Er bekam keine Kredite, doch von den Baubetrieben die ersten Anzahlungsforderungen - bis 40 Prozent, denn viele haben schlechte Erfahrungen mit der Zahlungsmoral ihrer Kunden gemacht. Die 4000 Mark auf dem Sparbuch
ner«, beschied man Meja. Das Sozialministerium verwies auf seine Richtlinien, nach denen Gaststätten nicht förderwürdig sind. »Aber ich muß doch etwas machen, was Erfolg verspricht«, argumentierte er. Man zuckte die Schultern. Meja machte sich selbst auf den Weg, kaufte in abgewickelten Betrieben die Einrichtung billig zusammen. Seine Förderung - der Nachlaß der DDR.
1,5 Millionen Gewerbeanmeldungen in den neuen Ländern seit 1990 stehen 770 000 Abmeldungen gegenüber, errechnete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Auch für Detlef Meja war solche Perspektive fast vorgezeich-
Mark. Für Familienfeiern am Wochenende ist Meja in der Gegend ähnlich konkurrenzlos preiswert - aber das hat auch für ihn seinen Preis.
Denn sein wie seiner Frau Arbeitstag ist lang. Er beginnt um sechs mit der Vorbereitung des Frühstücks. Dann wird das Essen gekocht, täglich frisch, »nichts aus der Gefriertruhe nur aufgewärmt«. Halb elf holt die Sozialstation 30 Essen ab, um elf das Jugendheim 50. Die ersten Schulkinder kommen zehn nach elf und haben 20 Minuten Zeit; da müssen 30 Essen plus zehn für den Hort blitzschnell durch die Luke. Eine Stunde später der nächste Durchgang, dann noch einer, dazu einige Arbeiter von Baustellen in der Nähe. Nach 14 Uhr wird aufgeräumt und sauber gemacht. Anschließend fährt Meja zum Großmarkt, kauft Fleisch und Gemüse täglich frisch. Am Abend kommt die Abrechnung, Schreibarbeit, Vorbereitung für den nächsten Morgen sechs Uhr
Der Unternehmer wider Willen hofft, daß sich seine Mühe lohnt. Die verloren gegangene soziale Sicherheit muß er aus eigener Kraft zurückholen. Schon liebäugelt er mit einem anderem Objekt, das auch den Abendbetrieb gestattet. Das aber bedeutet neue Hürden und wieder
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