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Berliner Erfolg gegen den Transrapid

Volksinitiative erreichte nötige Unterschriftenzahl Von Jutta Matuschek

  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bundesregierung bemühtsich eifrig, die Entscheidung für den Transrapid von Hamburg nach Berlin als unabänderlich darzustellen. Doch das Verschwendungsobjekt kann noch gestoppt werden-auch weil derWiderstand der Bürgerinnen und Bürger gegen die Magnetschwebebahn wächst.

Die erste Berliner Volksinitiative »Bürgerinnen gegen den Transrapid Berlin-Hamburg« steht mit mehr als 90 000 Unterschriften vor ihrem Erfolg. Am Beginn war das gar nicht so sicher gewesen. Der direkten Demokratie legt das Berliner Gesetz über Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid vom 22. Mai 1997 eine hohe Latte auf. Volksinitiativen dürfen zunächst nur darauf zielen, das Abgeordnetenhaus zur Behandlung mit konkreten Gegenständen zu veranlassen, Verlangen zum Landeshaushalt, zu Abgaben oder Tarifen der öffentlichen Unternehmen sowie Personalfragen sind ausdrücklich unzulässig. Der Träger der Volksinitiative - in diesem

Fall das überparteiliche Bündnis »Bürgerinnen gegen den Transrapid Berlin-Hamburg« - hat auf eigene Kosten die notwendigen Unterschriftsbögen beschafft. Jede Unterschrift bedarf eines einzelnen Unterschriftsbogens. Darauf müssen der Inhalt der Volksinitiative, die Begründung sowie die Angaben zum Unterzeichner leserlich und vollständig sein. Zur Vollständigkeit gehören Angaben zur Person (Geburtsdatum) und zur Anschrift. Ein Zusatz betrifft das Einverständnis zur Überprüfung der Unterschrift durch die Einwohnermeldeämter Allein die Kosten für die Unterschriftsbögen sind erheblich. Das Berliner Bündnis schätzt, daß -um die nötigen 90 000 Unterschriften zu sammeln - rund 200 000 Bögen im Umlauf sind. Die dazu nötige Logistik konnte nur im Zusammenspiel aller beteiligten Parteien und Initiativen aufgebaut werden. So waren alle Geschäftsstellen von PDS und Bündnis 90/Die Grünen in der Hauptstadt Sammelpunkte. Insgesamt gab es in Berlin rund 200 größere und kleinere Sammelstellen (auch Bioläden, Bibliotheken, Arztpraxen und andere mehr). Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) wirkte mit Personal und Lagerkapazität als Koordinierungsstelle. Die Initiative

wurde darüber hinaus durch sehr viele Spenden, auch von Privatpersonen, mitfinanziert.

Die Volksinitiative in Berlin wird oft mit dem gescheiterten Volksbegehren gegen den Transrapid in Brandenburg verglichen. Trotz inhaltlicher Übereinstimmung gibt es wesentliche Unterschiede im Verfahren. In Brandenburg konnten die Unterschriften nur in den Einwohnermeldeämtern geleistet werden, in Berlin war das auch »auf der Straße« möglich. Ein weiterer Unterschied: In Berlin gibt es keine Möglichkeit, den Inhalt einer Volksinitiative dann zum Gegenstand von Volksbegehren oder -entscheiden zu machen. Die beiden Letztgenannten sind in Berlin nur zu Gesetzestexten oder zur vorzeitigen Beendigung der Legislatur des Abgeordnetenhauses gestattet, nicht jedoch zu einzelnen Projekten. Eine erfolgreiche Volksinitiative führt eben »nur« zur nochmaligen Behandlung des Themas und zur Anhörung der Träger der Volksinitiative im Abgeordnetenhaus. Sollte dort das Anliegen abgelehnt werden, ist durch die direkte Demokratie kein anderes Ergebnis zu erzwingen.

Bei der Berliner Volksinitiative war es erwartungsgemäß sehr schwer, über die lange Zeit von sechs Monaten ständig die Aufmerksamkeit für das Anliegen wach zu halten. Nach einem gutem Start im April und Mai flachte das Interesse sowohl der Medien als auch der Bürgerinnen und Bürger sehr stark ab. In den Sommerferien traf das übliche Urlaubsloch die Volksinitiative schwer Auch waren die beteiligten Parteien und Bürgerinitiativen mit unterschiedlichem Engagement dabei. Erst nach einer Krisensit-

zung aller Beteiligten im August kam der Durchbruch. Der heiße Wahlkampf zur Bundestagswahl wirkte zudem als Katalysator Ohne den ständigen Einsatz vieler Helfer an Ständen innerhalb des Wahlkampfes, aber auch bei Volksfesten, Wochenmärkten und sonstigen Aktionen außerhalb des Wahlkampfes wäre eine Volksinitiative wahrscheinlich aussichtslos. Beispiellos war das Engagement der Bürgerinitiative Staaken »Stoppt Transrapid«, deren rund 60 Mitglieder weit über 10 000 Unterschriften sammelten.

Der Erfolg der Anti-Transrapid-Volksinitiative stimmt optimistisch. Doch 90 000 Unterschriften sind keine Gewähr für eine Abkehr von Steuerverschwendung und Milliardengeschenken an die Firmen Thyssen, Siemens und ADtranz. Aber es bietet sich die Chance, daß sich eine andere Bundesregierung nach dem 27 September nicht traut, das Projekt gegen den Willen breiter Bevölkerungsschichten durchzusetzen. Eine künftige Regierung von SPD und Grünen könnte dazu bewegt werden, ihre Wahlversprechen wenigstens in Ansätzen einzulösen. Sie müßte schon allein wegen der finanziellen Risiken den Transrapid Hamburg-Berlin sofort stoppen. Skeptisch stimmen jedoch die Äußerungen von Kanzlerkandidat Schröder, am Transrapid festhalten zu wollen. Damit widerspricht er seinen Ankündigungen, die bisherige Politik einer schonungslosen Finanzprüfung zu unterziehen. Ob die Grünen ihrerseits den Transrapid zum Koalitionsthema machen, ist noch abzuwarten.

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