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Kernfusion vor dem Durchbruch oder Abbruch?

Prof. Klaus Pinkau: Das Energie-Schlaraffenland haben wir nie versprochen

  • Lesedauer: 4 Min.

In Greifswald wurde kürzlich das Richtfest für »Wendelstein 7-X«, die vorerst letzte große deutsche Anlage der Fusionsforschung, gefeiert. Mit dem Direktor des federführenden Münchener Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP), Prof. Dr. Klaus Pinkau, sprach unser Mitarbeiter Steffen Schmidt.

Scheidung an. Die nötige physikalische Datenbasis ist vorhanden. Der Apparat soll nur den Funktionsbeweis für das künftige Fusionskraftwerk erbringen.

? Sogar Fusionsforscher meldeten Zweifel am ITER-Konzept an.

Die gab es. Doch es sind Zweifel. Wenn Sie überhaupt ausprobieren wollen, ob es funktioniert, brauchen sie das Experiment. Und das ist nicht billiger zu kriegen als in einer weltweiten Zusammenarbeit. Wenn wir die Kernfusion überhaupt haben wollen, wäre es doch hirnrissig, jetzt eine weltweite Zusammenarbeit aufzugeben, die uns für ein Viertel der Kosten das gesamte Wissen bringt. Um dann womöglich 10 Jahre später zu sagen, jetzt wollen wir Dann kostet es den vierfachen Preis. Deshalb müssen Europäer, Amerikaner, Russen und Japaner an einem Strang ziehen.

? Trotzdem ist die Bauentscheidung auf das Jahr 2001 vertagt worden.

Die Gründe sind politische. Eine der wesentlichen Ursachen war, daß die Japaner wegen der derzeitigen wirtschaftlichen Turbulenzen sagen, sie brauchen erst einmal Zeit, um sich zu erholen, könnten jetzt keine großen Projekte beschließen. Der ITER-Rat vertagte daraufhin die Entscheidung und setzte eine Ar-

beitsgruppe ein, die von dem Japaner Hiroshi Kishimoto und mir geleitet wird. Wir beide haben jetzt einen zweiten Weg vorgeschlagen: Einen kleineren ITER-Reaktor, bei dem man durch die Rückführung eines Teils der Energie in den Reaktor trotzdem zu einem kontinuierlichen Fusionsprozeß kommt.

Der ursprünglich geplante ITER war so ausgelegt, daß man sozusagen den Stecker rausziehen kann, und er brennt von allein weiter Man kann den Funktionsbeweis für das Kraftwerk auch mit einem Apparat erbringen, der die Energie teilweise zurückschießt. Und ein solcher Apparat kann wesentlich billiger gebaut werden, weil er sehr viel kleiner wäre. Das ist der gegenwärtige Zustand des ITER-Projekts.

? Wieviel billiger würde es dadurch?

Statt 6,7 Milliarden Ecu für den ursprünglich geplanten ITER wären es nur 3,5 Milliarden - die Hälfte.

? Die technische Machbarkeit vorausgesetzt - ist ein so komplexes System nicht schon wegen der Ausfallzeiten unrentabel?

Schwer zu beantworten. Das Hauptproblem der Verfügbarkeit war bisher der verschleißbedingte Austausch der innersten Wand der Reaktorkammer Die Häufigkeit solcher Austausch-Pausen schränkt die Verfügbarkeit ja systematisch ein. Hier weiß man noch keine definitive Antwort. Die Entwicklung von Materialien für diese Wand hat angefangen, wobei es zunächst einmal um Materialien geht, die durch die Strahlung im Reaktor möglichst wenig aktiviert werden. Die große Möglichkeit der Fusion ist doch, daß der Reaktor bei geeigneter

Materialwahl 100 Jahre nach Abschaltung von Hand auseinandergeschraubt werden könnte, weil die Radioaktivität der Bauteile so gering ist. Das liegt nur an den Zuschlagstoffen für den verwendeten Stahl. Die gängigen Legierungsbestandteile sind ungeeignet. Die Japaner haben deshalb mit anderen Zuschlagstoffen experimentiert. Diese veränderten Stähle wurden unter Neutronenbeschuß getestet. Nach 100 Jahren kann man sie gefahrlos anfassen. Nach einer Studie aus Karlsruhe steigt bei diesen Stählen auch die sogenannte Sprödbruchtemperatur nicht weiter an.

Daran muß der Reaktor also nicht scheitern.

? Wie groß ist denn beim Fusionsreaktor die Gefahr von Schäden? Wie sähe Ihr GAU, der »Größte Anzunehmende Unfall«, aus?

Das wäre vor allem eine Zerstörung von außen, von innen geht das nicht, weil die vorhandene Energiedichte dafür nicht reicht. Ein Kernspaltungsreaktor braucht eine bestimmte kritische Masse, und diese kritische Masse enthält Brennstoff für rund drei Jahre Betrieb. Ein Fusionsreaktor enthält gerade mal für eine Sekunde Brennstoff.

? Und es gibt dann keine Schäden durch austretende Radioaktivität?

Der Brennstoff Tritium ist zwar radioaktiv Aber es ist gerade mal ein Gramm im Fusionsplasma, weiteres gebunden in den sogenannten Blankets. Die Menge des verletzlichen Inventars kann und muß so gering sein, daß selbst bei einem Unfall keine Evakuierung von Menschen außerhalb eines Ein-Kilometer-Radius um den Fusionsreaktor nötig wäre.

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